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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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schreitet an den dunklen Tisch und zerrt mit beiden Händen das Hackbeil aus dem zermanschten Holz. Sie sagt, jemand hat Mrs. Clark umgebracht.
    »Wer immer das war«, sagt die Baronin, »kann jetzt nicht mehr besonders hungrig sein.«
    Der Mörder hat fast ihr ganzes linkes Bein verzehrt. Der Rest der Leiche liegt in ihrer Garderobe, mit einem Messer im Bauch.
    Der Killerkoch zeigt Graf Schandmaul die Faust und sagt: »Du widerlicher Gierschlund .«
    Und der Graf sagt: »Moment.« Er sagt: »Hört mal...«
    Wir werden still, und wir können seinen Magen hören. Im Magen des Grafen strampelt und knurrt das Gespenst von Miss Americas gekochtem Baby. Er kann es unmöglich gewesen sein.
    Trotzdem. Mrs. Clark - unser Peitschen schwingender Quälgeist, unsere Teufelin - ist tot. Was von ihr übrig ist: Essensreste.
    Der nächste Punkt auf unserer Tagesordnung wird sein: einen neuen Teufel wählen. Nach dem Essen.
    Wir sitzen beim Essen, und Miss Rotz putzt sich die Nase. Sie schnieft und hustet und sagt, sie muss uns unbedingt eine Geschichte erzählen...

Die Dolmetscherin
Ein Gedicht über Miss Rotz
    »Meine Oma hat ihr Geld damit verdient«, sagt Miss Rotz, »dass sie
    ›Ich liebe dich‹ gesagt hat.«
    Auf möglichst viele verschiedene Weisen. Für Leute, die das nicht konnten.

    Miss Rotz auf der Bühne, die Aufschläge der Ärmel ihres Pullovers
    ausgebeult
    von den dort hineingestopften schmutzigen Papiertaschentüchern.
    Die Taschentücher, gelb und verklebt von Nasenschleim.
    Ihre Nase trieft von Rotz und Blut, und aus ihren rot flackernden Augen
    laufen Tränen über beide Wangen.

    Auf der Bühne, statt eines Scheinwerfers, ein Filmausschnitt:
    eine Szene aus einem Krankenhausfilm. Ärzte und
    Schwestern
    in weißen Kitteln, Reagenzgläser in den Händen,
    hektisch auf der Suche nach einem Heilmittel.

    Schniefend und hustend erzählt Miss Rotz:
    »Bis zu ihrem Tod verdiente meine Oma ihr Geld damit, dass sie
    für andere
    Leute sagte: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstage«
    Oder: »Mein tiefstes Beileid.«
    Oder: »Gratuliere.« Und: »Wir sind so stolz auf dich!«
    Und »Frohe Weihnachten.«
    Auf möglichst viele verschiedene Weisen sagte ihre Großmutter:
    »Alles Gute
    zum Hochzeitstag.«
    »Alles Gute zum Vatertag.«
    Und: »Alles Gute zum Muttertag.«
    Für eine Grußkartenfirma.

    Sie putzt sich die Nase, stopft das Taschentuch in den Ärmel
    zurück und sagt:
    »Meine Oma musste dolmetschen, was andere Leute sagen
    wollten,
    aber nicht konnten.«
    Aber jeden Glückwunsch zum Geburtstag,
    jede einzelne Karte schrieb sie in Gedanken an Miss Rotz,
    die ihr ideales Zielpublikum war.
    Und der Kartenständer ist ihr Bankkonto, ihr hinterlassenes Vermögen
    künftiger guter Wünsche
    für ihre Enkelin.
    Und nach ihrem Tod konnte Miss Rotz hingehen und das richtige
    »Ich liebe dich« finden,
    oder das richtige »Alles Gute zum Valentinstag« für jenen Augenblick
    in der fernen Zukunft.
    Lange, lange nach dem Tod ihrer Oma.

    »Und doch«, sagt Miss Rotz, »gibt es eine Karte, einen besonderen
    Anlass, zu dem sie nie etwas aufgeschrieben hat.«
    Es müsste eine Karte geben, auf der steht: Verzeih mir.
    Bitte, Oma.
    Bitte, verzeih mir.
    Ich wollte dich nicht umbringen.

Böse Geister
Eine Erzählung von Miss Rotz
    Die Gegensprechanlage schaltet sich ein. Es knackt und knistert, dann sagt eine laute Frauenstimme: »Gute Neuigkeiten, meine Liebe.« Das ist Shirlee, die Nachtschwester, die da aus dem kleinen Lautsprecher spricht: »Die Chancen stehen gut, dass du in diesem Leben doch noch flachgelegt wirst...«
    Diese Woche, sagt Shirlee, ist ein zweiter Keegan-Typ-1-Virusträger eingeliefert worden. Der Neue ist asymptomatisch, und: Er hat einen phantastischen Schwanz.
    Eine bessere Freundin als Shirlee kann man hier kaum haben.
    Ihr kennt doch diesen Jungen, der in einer Plastikblase leben musste, weil er gegen nichts immun war? Nun, das hier ist das Gegenteil. Die Leute, die hier auf Columbia Island leben, haben Krankheitserreger im Leib, mit denen könnte man die ganze Welt ausrotten. Viren. Bakterien. Parasiten.
    Ich auch.
    Die Regierungsfritzen, die hohen Tiere von der Marine, die nennen das hier das »Waisenhaus«. Sagt Shirlee. Es heißt das Waisenhaus, weil von deiner Familie - wenn du hier bist - niemand mehr lebt. Wahrscheinlich sind auch alle deine Lehrer tot. Alle deine alten Freunde sind tot. Alle, die du jemals gekannt hast, sind tot. Und du hast sie umgebracht.
    Die Regierung hat es nicht

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