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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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die Schultern und sagt: »Alles, was wir in dieser Mikrowelle zubereiten, wird nach Popcorn schmecken...«
    Auch Missing Link weiß, wenn er den abgeschnittenen Penis eines Toten verzehrt, bringt ihm das zusätzliche Sendezeit in sämtlichen Late-Night-Shows der Welt. Allein um den Geschmack zu beschreiben. Anschließend Werbung für Grillsauce und Ketchup. Dann für sein Kochbuch. Auftritte im Radio. Und bis an sein Lebensende fester Bestandteil von Gameshows im ganzen Land.
    Als Opfer, als Leute, die mit ihren fehlenden Fingern und Zehen beweisen können, wie sehr sie gelitten haben, wird ihnen die Welt für alle Zeit ein Recht auf schlechten Geschmack zubilligen.
    Und mit ausgestreckten Armen, die Hände zu Stoppschildern erhoben, sagt Miss Rotz: »Das darfst du nicht.«
    Unser Publikum: nur die nackten Statuen in den grünen Nischen.
    »Ach nein?«, sagt Missing Link und legt den Kopf nach hinten, der aufgerissene Mund parallel zur Decke. Er reckt den Arm senkrecht nach oben und lässt den fleischigen Fitzel auf seine Zunge fallen. An den Zähnen vorbei. Und schluckt.
    Er schluckt noch einmal, und seine Augen treten hervor. Er schluckt noch einmal, und sein haariges Gesicht schwillt dunkelrot an. Er presst die Augen so fest zu, dass sie unter seiner einen Braue zittern. Er packt mit einer Hand seinen Hals, und Tränen laufen ihm über die heißen Wangen. Die Hand an der Kehle, er bekommt keine Luft und macht einen Schritt ä la Frankenstein, noch einen, und noch einen.
    Sein panikrotes Gesicht, der Mund weit aufgerissen, die Werwolfzähne blitzen. Seine Lippen formen tonlose Worte. Er fällt auf die Knie, auf den blutig grünen Teppich, und ballt die Hände zu Fäusten. Und schlägt sich mit aller Kraft in den Magen. Und das alles - das Weinen, das Schlagen, das Flehen ohne einen Ton.
    Nichts für das Diktiergerät des Grafen, nur Missing Links »Ach nein?«
    Missing Link, auf den Knien, sinkt zur Seite. Kippt um und bleibt stumm liegen, die Augen immer noch zugekniffen, die Fäuste immer noch in seinem Magen.
    Der Killerkoch sieht den Grafen an, der Miss Rotz ansieht, die schnieft und sagt: »Die Leute, die uns befreien kommen, könnten ihn vielleicht noch retten ...«
    Und Reverend Gottlos schüttelt den Kopf.
    Niemand bohrt da unten gerade das Schloss der Eingangstür auf. Niemand will uns befreien. Niemand kommt zu unserer Rettung. Wir haben gelogen, weil wir es satt hatten, dass der Kuppler das Beil nicht mehr herausrücken wollte.
    Jetzt brauchen wir also das Geld durch zwei weniger aufzuteilen. Nur noch elf von uns sind übrig.
    Baronin Frostbeule, die Röcke mit beiden Händen hochgerafft, kommt mühsam die Treppe hinaufgestapft. Ihre rosa, von Narben gekräuselten Lippen sind zu einem Lächeln verzogen, bis sie den Kuppler auf dem Teppich liegen sieht, seine mit Blut getränkten Kleider. Und neben ihm Missing Link, die Augen in seinem haarigen grauen Gesicht fest zugekniffen, totenstarr geschlossen.
    Der Baronin klafft der fettige Runzelmund auf, und sie sagt: »Wer von euch Schweinen hat den Kuppler umgebracht?«
    Keiner von uns, sagen wir. Das war er selbst. Nach so langem Zaudern hat er sich endlich den Schwanz abgehackt.
    Und der arme Missing Link, der ist erstickt, als er den abgeschnittenen Schwanz verschlingen wollte.
    Missing Link - das letzte Glied dieser Nahrungskette. Beziehungsweise das letzte Glied, wenn man die Mikroben und Bakterien nicht mitzählt, die nach Mrs. Clarks Erzählung ihre Tochter gefressen haben.
    Schon können wir uns vorstellen, wie sich diese Szene im Radio anhören wird. Schon fragen wir uns, ob man im Fernsehen »Penis« sagen darf. Diese Szene allein ist mehr wert als alles, was man sonst so in Tatsachenberichten lesen kann, und wir allein haben sie miterlebt. Die reale Generalprobe für einen Filmstar, der dann so tun wird, als ersticke er am abgeschnittenen Schwanz eines anderen Filmstars.
    Sich an einem Penis verschlucken und daran ersticken: Mit solchen Szenen ist man für einen Oscar prädestiniert.
    Nur wir haben es gesehen, und vielleicht die Baronin.
    Nur dass in unserer Version Mrs. Clark sagen wird, sie habe den Penis abgeschnitten und Missing Link gezwungen, ihn unzerteilt zu verschlingen. Die Wahrheit ist so einfach, wenn alle sich einig sind, wem sie die Schuld geben wollen.
    »Ich will ja kein Spielverderber sein«, sagt Baronin Frostbeule, »aber jetzt brauchen wir einen neuen Schurken.«
    Der Teufel ist tot - wir brauchen einen neuen Teufel.
    Die Baronin

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