Die Kolonie
sagt im Weitergehen: »Ah, ich liebe das.«
Bei diesen neuen Geldsäcken, sagt Inky, muss man die Regeln ändern. Sie sagt: »Armut ist der neue Adel.«
Vor ihnen erscheint ein Rudel Internet-Millionäre und arabische Ölscheichs, sie stehen vor einer Kunstgalerie und rauchen. Inky sagt: »Komm, die betteln wir um ein bisschen Kleingeld an...«
Das ist ihr Urlaub vom Dasein, von ihrer Existenz als Packer und Muffy Keyes, als Textilgeschäftsführer und Tabakkonzernerbin. Ihr kleiner Wochenendtrip ins soziale Sicherheitsnetz.
Der Global-Airlines-Penner heißt Webster »Scout« Banners. Er, Inky und Muffy treffen sich mit Skinny und Frizzi. Dann stoßen auch noch Packer und Boater dazu. Und Shoe und Bones. Sie sind alle betrunken und albern herum, und einmal brüllt Packer in die Runde: »Ist hier einer unter der Brücke, der nicht mindestens vierzig Millionen Dollar auf dem Konto hat?«
Und natürlich hört man nur den Verkehr oben rauschen.
Später schieben sie Einkaufswagen durch ein Industriegebiet. Inky und Muffy schieben einen Wagen, Packer und Scout folgen ihnen mit großem Abstand. Und Inky sagt: »Früher habe ich gedacht, das Einzige, was schlimmer ist, als in der Liebe zu verlieren, ist zu gewinnen...« Sie sagt: »Ich war schon seit der Schulzeit so in Scout verliebt, aber du weißt ja, wie sehr uns Dinge im Leben... enttäuschen.«
Inky und Muffy, sie tragen Handschuhe mit abgeschnittenen Fingern, damit sie besser alte Dosen sortieren können. Inky sagt: »Früher habe ich gedacht, das Geheimrezept für ein Happy End besteht darin, den Vorhang genau an der richtigen Stelle fallen zu lassen. Dann, wenn man richtig glücklich ist. Wartet man einen Augenblick zu lang, ist alles wieder falsch.«
Diese gesellschaftlichen Aufsteiger, die sich einbilden, sie hätten es schwer - ihre Angst, die falsche Gabel zu benutzen, ihre Panik, wenn die Fingerschalen gereicht werden -, dabei haben die Obdachlosen viel mehr Grund, sich Sorgen zu machen. Botulismus. Erfrierungen. Das Aufblitzen eines Goldzahns kann dich verraten. Ein Hauch Chanel No. 5.
Irgendeins von Millionen winziger Details kann dich entlarven.
Sie sind geworden, was Inky »Freizeitobdachlose« nennt.
Sie sagt: »Jetzt? Jetzt liebe ich Scout. Ich liebe ihn, als hätte ich ihn nie geheiratet.« So auf der Straße kommt ihr das Leben vor, als seien sie Pioniere, die in der Wildnis ein neues Leben anfangen. Aber statt Bären oder Wölfe, sagt Inky schulterzuckend, sind es Drogendealer und wilde Schießereien, die ihnen das Leben schwer machen.
»Das ist die beste Zeit meines Lebens«, sagt sie. »Aber ich weiß, ewig kann das nicht so weitergehen...«
Schon füllte sich ihr neuer gesellschaftlicher Terminkalender. Dieser ewige gesellschaftliche Abstieg. Für Dienstag kann unmöglich etwas geplant werden, weil sie da schon mit Dinky und Cheetah Lumpen sammeln geht. Danach treffen sich Packer und Scout zum Sortieren von Aludosen. Danach gehen wir alle in die freie Klinik und lassen von einem dunkeläugigen Arzt mit Vampirakzent unsere Füße untersuchen.
Packer sagt, die Aludose ist der Krügerrand der Straße.
Wir stehen oben an einer Ausfahrt, wo Autos den Highway verlassen. Inky sagt: »Denk in großen Zusammenhängen. Tu so, als ob du im Fernsehen mit einem einzigen Satz was anpreisen sollst.«
Mit einem schwarzen Marker schreibt Inky auf ein Stück braune Pappe: Allein erziehende Mutter. Zehn Kinder. Brustkrebs.
»Zum Beispiel so - ja?«, sagt sie, »dann müssen die Leute dir einfach Geld geben ...«
Muffy schreibt: Schwer verwundeter Kriegsveteran. Hunger. Muss nach Hause.
Und Inky sagt: »Perfekt.« Sie sagt: »Du hast gerade Cold Mountain angepriesen.«
Das sind ihre kleinen urbanen Campingfreuden.
Sich im Freien verstecken. Sich vor aller Augen verstecken.
Niemand wird leichter übersehen als die Obdachlosen. Du könntest Jane Fonda oder Robert Redford sein, aber wenn du, angetan mit drei Schichten verdreckter Kleidung und leise vor dich hinfluchend, am hellichten Tag einen Einkaufswagen durch die Straßen schiebst, wird kein Mensch Notiz von dir nehmen.
Sie könnten das bis an ihr Lebensende machen. Scout und Inky haben vor, sich um eine Sozialwohnung zu bemühen. Sie wollen in Wartezimmern sitzen und sich von attraktiven Medizinstudenten kostenlos die Zähne behandeln lassen. Sie werden die Aufnahme in ein Methadonprogramm beantragen und sich dann zu Heroin hocharbeiten. Eine Berufsausbildung machen. Hamburger braten.
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