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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Für alle Fälle kontrollierten sie auch die Telefonleitungen. Eine einzige funktionierte noch, und Missing Link hat sie mit seinen behaarten Muskeln aus der Wand gerissen.
    Deswegen hat Gräfin Weitblick in jedes Türschloss eine Plastikgabel gesteckt und die Zinken darin abgebrochen. Auf die Weise kann keiner mehr einen Schlüssel benutzen. Nur für den Fall, dass ihr Bewährungshelfer sie über ihr Armband aufspüren sollte. Nein, keiner von uns wollte gerettet werden - jedenfalls noch nicht.
    Wir mussten auf Nummer sicher gehen. Solche Szenen werden in dem Film nicht zu sehen sein. Man wird glauben, das alles hat Mr. Whittier eingefädelt. Der böse, sadistische Mr. Whittier.
    Schon geht unsere Mannschaft gegen die von Mrs. Clark und Mr. Whittier in Stellung.
    Schon sind Miss America und Miss Rotz nur noch Handlungselemente. Unsere Opfer. Dem Untergang geweiht.
    Im rotgelben Flackern des elektrischen Kamins, in der geschnitzten Holzvertäfelung des gotischen Raucherzimmers, eingesunken ins Lederpolster ihres Ohrensessels, sinkt Mrs. Clarks Kinn immer tiefer, fast bis in ihr Dekolletee. Sie fragt, ob Schwester Vigilante die Bowlingkugel gefunden hat.
    Und die Schwester schüttelt den Kopf. Nein. Sie klopft auf ihre Armbanduhr und sagt: »Eintritt der bürgerlichen Dämmerung in exakt fünfundvierzig... vierundvierzig Minuten.«
    Miss Rotz hustet - ein gedehntes, rasselndes, knirschendes Husten -, und wir können uns kaum beherrschen, nicht in Jubel auszubrechen. Sie wühlt in ihrer Tasche nach einer Pille, einer Kapsel, aber ihre Hand kommt leer wieder heraus.
    Schwester Vigilante entschuldigt sich, sie will ins Bett und geht die Treppe ins Foyer hinunter, verschwindet Schritt für Schritt, wird kürzer, bis auch ihr schwarzer Haarschopf außer Sicht geraten ist.
    Unsere Miss America ist irgendwo anders, fummelt an einem Türknauf herum, versucht, das Schloss zu knacken. Oder versucht, Feueralarm auszulösen, aber wir wissen ja, das geht nicht.
    Dank Reverend Gottlos.
    An Graf Schandmauls Diktiergerät leuchtet das rote Lämpchen. Agent Plaudertasche wechselt den Sucher seiner Videokamera von einem Auge zum anderen.
    Und von unten kommt ein Schrei. Hoch und spitz. Die Stimme von Schwester Vigilante, wir sollen kommen, schnell. Sie ist über etwas gestolpert.
    Lady Tramp. Ein frischer Fleck. Ein Messer in den Fingern einer Hand. Um sie herum ein dunkler See, ihr Blut, das im blauen Teppich des Foyers versickert.
    Lange dunkle Haare scheinen sich um ihr Gesicht zu ranken und im Kragen ihres Pelzmantels zu verschwinden. Doch auf der untersten Stufe angekommen, als wir sie in Lebensgröße sehen, erweist sich das geflochtene dunkle Haar als Blut. Und unter dem roten Haar auf dieser Seite ihres Gesichts fehlt das Ohr. Sie liegt dort hingestreckt, was sie in einer Hand hält, ist rot und rosa, ein schimmernder Ohrstecker, eine Perle in der Mitte dieser zerfetzten Muschel, in der sich das künstliche Kaminlicht spiegelt. In ihrer Handfläche, neben dem rosa Ohr, der Diamant, ihr toter Mann.
    Als wir von der Treppe auf sie hinabsehen, lächelt Lady Tramp. Ihr Kopf rollt zur Seite, sie sieht zu uns hoch und sagt: »Ich blute ... sehr stark...« Hinter ihrem bleichen Gesicht, ihren Händen, quillt ein endloser Blutstrom hervor. Ihre Finger entspannen sich, das Messer fällt auf den Teppich, und sie sagt: »Jetzt, Mr. Whittier, müssen Sie mich nach Hause gehen lassen...« Genossin Snarky stößt den Grafen Schandmaul mit dem Ellbogen an und sagt: »Was habe ich Ihnen gesagt? Sehen Sie.« Sie zeigt mit dem Kinn auf den blutigen Zopf und sagt: »Jetzt kann man die Narbe vom Facelifting gut erkennen.«
    Und Lady Tramp ist tot. Das sagt Schwester Vigilante, als sie ihr einen Finger an den Hals legt. Einen blutbeschmierten Finger.
    An dieser Stelle ist unsere Zukunft gebongt. Das war's. Das wird unsere Einnahmequelle: Jetzt können wir den Leuten erzählen, wir waren Zeugen, wie ein unschuldiges Menschenkind in den Selbstmord getrieben wurde. Und dazu die Geschichte von Lady Tramps Pennerglück. Die Tragödie mit ihrem Mann. Die Entführung der brasilianischen Ölerbin. Jetzt brauchen wir keine Monster mehr zu erfinden. Wir brauchten uns nur noch umzusehen. Mit offenen Augen.
    Im Sucher seiner Kamera spult Agent Plaudertasche zurück und sieht sich an, wie Lady Tramp auf der Bühne ihre Geschichte vorträgt. Sie noch einmal vorträgt.
    Unsere Marionette. Unser Handlungselement.
    Graf Schandmaul spult sein Diktiergerät zurück,

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