Die Kolonie
Prozac.
Ohne Krise, erklärt mir der Redakteur, kein Artikel.
Der glückliche Kenny Wilcox mit seinen Lachfalten: Der verkauft sich nicht.
Der Redakteur sagt: »Bringen Sie mir Wilcox mit Kinderpornos auf seinem Computer. Mit Leichen unter seinem Haus. Dann bekommen Sie Ihren Artikel.«
Er sagt: »Noch besser, bringen Sie ihn mir mit beidem, und bringen Sie ihn mir tot.«
In der Woche darauf leckt mein Hund eine Frostschutzmittelpfütze auf. Mein Hund heißt Skip nach dem Hund in Danny von nebenan, dem kleinen Hund, den Danny in dieser Serie hatte. Mein Skip ist weiß mit großen schwarzen Flecken und trägt ein rotes Halsband, genau wie der Hund im Fernsehen.
Gegen Frostschutzmittel hilft nur eins: Dem Hund muss der Magen ausgepumpt werden. Dann muss er jede Menge Aktivkohle fressen. Dann muss man eine Vene finden und den Hund an den Äthanol-Tropf hängen. Reiner Äthylalkohol, um die Nieren auszuspülen. Um meinen Hund, mein Baby, zu retten, muss ich ihn stockbetrunken machen. Das bedeutet noch einen Besuch bei Dr. Ken, der sagt: Ein Interview? Nächste Woche? Geht klar. Weist mich aber darauf hin, dass sein Leben nicht sehr aufregend sei.
Ich sage: Vertrauen Sie mir. Ein guter Artikel sieht so aus, dass man die schlichten Tatsachen sexy aufbereitet. Machen Sie sich keine Sorge über die Geschichte Ihres Lebens, sage ich, das ist mein Job.
Ich könnte mal wieder einen guten Auftrag gebrauchen. Seit ein paar Jahren schreibe ich freiberuflich. Davor hatte ich einen festen Job im Unterhaltungsteil, bin aber rausgeflogen. Das war gutes Geld, Reklametexte für Filmpremieren basteln, irgendwelche Zitate aufbauschen, zehn Minuten lang mit einem Filmstar an einem Tisch sitzen, zusammen mit anderen Medienvertretern, die alle kaum das Gähnen unterdrücken konnten.
Neue Filme. Neue Alben. Neue Bücher. Da gibt es dauernd was zu tun, aber einmal die falsche Meinung geäußert, und schon ist man draußen. Ein Filmstudio droht, keine Anzeigen mehr zu schalten, und - Abrakadabra - kannst du dir den Job abschminken.
Ich bin pleite, weil ich einmal versucht habe, die Leute zu warnen. Ich hatte über einen Film geschrieben, dass die Leute ihr Geld für was Besseres ausgeben könnten, und seitdem bin ich weg vom Fenster. Bloß ein einziger mieser Slasher-Film und die Macht, die dahinter steht, und ich muss darum betteln, Nachrufe schreiben zu dürfen. Bildunterschriften. Irgendwas.
Es ist ein Witz, du baust ein Kartenhaus und bringst es nicht mal selbst zum Einsturz. Was du da jahrelang angehäuft hast, ist ein Nichts, bloß Quatsch mit Soße. Menschen zu Filmstars machen. Den wahren Zahltag erlebst du erst, wenn es vorbei ist. Dann verlierst du den Boden unter den Füßen. Schmeißt das Kartenhaus um. Jetzt outest du den Frauenhelden, der sich eine Wüstenrennmaus in den Arsch schiebt. Entlarvst das Mädchen von nebenan als tablettensüchtige Ladendiebin. Führst den Leuten die Göttin vor, die ihre Kinder mit einem Drahtbügel prügelt.
Der Redakteur hat Recht. Ken Wilcox auch. Sein Leben ist ein Interview, das kein Mensch jemals kaufen wird.
Zur Vorbereitung auf unser Gespräch surfe ich eine ganze Woche im Internet. Ich lade mir Dateien aus der ehemaligen Sowjetunion herunter. Hier haben wir eine andere Sorte von Kinderstars: russische Schuljungen ohne Schamhaare, die fetten alten Männern einen ablutschen. Tschechische Mädchen, die noch auf ihre erste Periode warten, von Affen in den Arsch gefickt. Ich speichere das alles auf einer CD.
An einem Abend nehme ich Skip an die Leine und riskiere einen langen Spaziergang durch die Nachbarschaft. Als ich in meine Wohnung zurückkomme, sind meine Jackentaschen voll mit Plastikbutterbrottüten und kleinen Briefumschlägen und gefalteten Stückchen Alufolie. Percodan. OxyContin. Vicodin. Glasfläschchen mit Crack und Heroin.
Das komplette Interview, vierzehntausend Wörter, schreibe ich bereits nieder, bevor Ken Wilcox auch nur den Mund aufgemacht hat. Bevor wir uns überhaupt zusammengesetzt haben.
Um den Schein zu wahren, bringe ich trotzdem meinen Kassettenrekorder mit. Und einen Notizblock, um so zu tun, als würde ich mir mit ein paar ausgetrockneten Füllern Notizen machen. Und eine Flasche Rotwein, den ich mit Vicodin und Prozac aufgepeppt habe.
In Kens kleinem Haus in der Vorstadt würde man eine Glasvitrine erwarten, vollgestopft mit verstaubten Trophäen, Hochglanzfotos, Orden und anderen Auszeichnungen. Ein Denkmal seiner Kindheit. Aber da ist nichts
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