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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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mindestens zwölf, vielleicht fünfzehn verschiedene Männer am Werk gewesen seien.
    Und die Antwort der Bezirkswache lautete: Ja, war ein blöder Scherz. Vergesst die Sache.
    So sind die Menschen - machen Objekte zu Menschen, Menschen zu Objekten.
    Niemand behauptet, welche von hier hätten die Schweinerei veranstaltet. Diese Riesenschweinerei.
    Cora nahm, wenig überraschend, das Modell Betty mit nach Hause. Spülte der Puppe irgendwie die Lungen aus. Wusch und legte ihr die roten Glamour-Girl-Haare. Kaufte ein neues Kleid für den arm- und beinlosen Torso. Eine Halskette aus künstlichen Perlen. Etwas so Hilfloses konnte Cora einfach nicht in den Müll werfen. Sie schminkte die blauen Puppenlippen mit Lippenstift. Die langen Wimpern mit Mascara. Rouge. Parfüm - sehr viel Parfüm, um den Gestank zu überdecken. Ein Paar hübsche Ohrclips. Niemand würde sich darüber wundern, dass Cora jeden Abend in ihrer Wohnung vor dem Fernseher saß und mit der Puppe plauderte.
    Nur Cora und Betty. Plauderten auf Französisch miteinander.
    Trotzdem sagt niemand, Cora Reynolds ist verrückt. Höchstens ein bisschen weichherzig.
    Nach den Vorschriften hätte sie, in einen schwarzen Plastiksack verpackt, in der Asservatenkammer verstaut werden müssen. Und dort wäre sie in Vergessenheit geraten. Betty, nicht Cora. Ausgesetzt Der Verwesung preisgegeben. Vergessen wie die numerierten Tüten mit Pot und Koks und Crack und Heroin. Die Schusswaffen und Messer, die auf ihren Auftritt im Gerichtssaal warten. All die beschlagnahmten Drogenpäckchen, die mit der Zeit immer kleiner werden, bis gerade noch genug für eine Verurteilung übrig ist. All die Tatgegenstände.
    Zugegeben, man hat gegen diese Vorschrift verstoßen. Man hat Cora die Attrappe mit nach Hause nehmen lassen.
    Niemand wollte, dass sie im Alter vereinsamte.
    Cora. Sie war so jemand, der nie nur ein Stofftier kaufen konnte. Zu Coras Tätigkeitsbeschreibung gehörte der Ankauf von Stofftieren, die an Kinder ausgegeben wurden, die auf die Wache kamen, um eine Aussage zu machen. An Kinder, für die das Gericht das Sorgerecht übernahm. An Kinder, die ihren Eltern wegen Vernachlässigung weggenommen und in ein Heim gesteckt wurden. Wenn Cora in den Spielzeugladen ging und einen kleinen Plüschaffen aus der Auslage nahm, konnte sie es nicht ertragen, wie einsam das Tier im Einkaufswagen saß. Damit es Gesellschaft hatte, nahm sie eine Giraffe dazu. Und einen Elefanten. Ein Nilpferd. Eine Eule. Bis in ihrem Einkaufswagen mehr Stofftiere lagen als in der Auslage. Und die zurückgelassenen Tiere, allesamt beschädigt: ein Auge fehlte, ein Ohr war eingerissen, eine Naht geplatzt. Die Füllung quoll heraus. Die Tiere, die niemand haben wollte.
    Niemand ahnte, in welchen Abgrund Coras Herz in diesem Augenblick stürzte. Es war ein Sturz von der höchsten Spitze der größten Achterbahn der Welt bis ganz nach unten, und Cora war nur noch ein Stück Haut. Nur noch ein Schlauch aus Haut mit je einem festen Loch an den Enden. Ein Gegenstand.
    Diese verschmutzten kleinen Tiger, denen Fäden heraushingen. Die platt gedrückten Rentiere. Sie füllten ihre Wohnung, diese kaputten Pandas und fleckigen Eulen und Modell Betty. Eine andere Art von Asservatenkammer.
    So sind die Menschen ...
    Aber die arme, arme Cora. Jetzt versucht sie, Leuten die Zunge rauszuschneiden. Mit Parasiten zu infizieren. Die Polizeiarbeit zu behindern. Sie stiehlt öffentliches Eigentum. Niemand spricht von Veruntreuung von Büromaterial: Kulis, Heftmaschinen, Kopierpapier.
    Cora ist für die Bestellung von Büromaterial zuständig. Sie sammelt am Freitag die Stechkarten ein. Sie gibt am Dienstag die Lohnschecks aus. Reicht die gesammelten Spesenquittungen zur Abrechnung ein. Bedient das Telefon: »Vormundschafts- und Familienstelle.« Sie besorgt Kuchen und lässt eine Karte in der Abteilung herumgehen, wenn jemand Geburtstag hat. Das ist ihr Job.
    Niemand hatte ein Problem mit Cora Reynolds, bis die beiden Kinder aus Russland kamen, ein Mädchen und ein Junge. Das Problem bestand eigentlich darin, dass Cora kleine Kinder, kleine Mädchen mit Sommersprossen und Pferdeschwanz, nur zu sehen bekommt, wenn jemand sie missbraucht hat.
    Jeden kleinen Schlingel, jeden Lausbub in Latzhose und mit einer Schleuder in der Gesäßtasche lernt Cora nur kennen, weil irgendein Mann ihn gezwungen hat, ihm den Schwanz zu lutschen. Jedes zahnlückige Kinderlächeln erscheint ihr als Maske. Jedes grasfleckige Knie ist ihr ein

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