Die Kolonie
jetzt alle die Finger, Zehen und Ohren abschneiden, kommt hier am Ende keiner ohne eine anständige Narbe raus. Jeder braucht irgendeinen Stumpf, den er in die Fernsehkameras halten kann. Mr. Whittier hat es getan, damit Sankt Prolaps und Mutter Natur nicht zusammenkommen. Zur Strafe, dass sie sich verliebt haben.
In unserer Version der Ereignisse wurde jeder Zeh und jeder Finger von den Schurken gefressen, denen niemand ein Wort glauben wird.
Der Kuppler hat herumgefragt, ob jemand bereit sei, ihm den Penis abzuhacken. Das wäre großartig - die perfekte Fortsetzung eines alten Familienscherzes. Ein Schnitt, sagt er, und alle Probleme sind gelöst. Bloß noch ein abgetrennter Penis im Dreck.
»Im Übrigen brauche ich ihn ja sowieso nicht mehr«, sagt der Kuppler lächelnd. Zwinker, zwinker.
Bis jetzt hat sich noch keiner bereit erklärt, das Hackbeil zu schwingen. Nicht weil es zu ekelhaft oder zu schrecklich wäre, sondern weil der Kuppler damit in Führung gehen würde. Ein abgehackter Penis wäre von keinem mehr zu toppen.
Andererseits, wenn er es tut - und dabei verblutet - müssten wir die Einnahmen nur noch durch fünfzehn teilen. Durch vierzehn, wenn Miss Rotz mal endlich an dem Schimmel ersticken würde. Durch dreizehn, wenn Miss America so aufmerksam ist, bei der Geburt zu sterben.
Cora Reynolds wird immer fetter, seit sie von allen Seiten mit Körperteilen gefüttert wird.
»Wenn du dir den Schwanz abschneidest«, sagt Direktorin Dementi, »gib ihn bitte nicht meiner Katze.«
Sie sagt: »Ich will nicht jedes Mal daran denken müssen, wenn sie mir das Gesicht ableckt...«
Die Kostüme haben wir beim Suchen nach Verbandszeug entdeckt. Wir hatten hinter der Bühne nach irgendwelchen sauberen Tüchern gesucht, die wir als Verbandsstoff in Streifen reißen könnten, und waren dabei auf Gewänder und Accessoires gestoßen, die von alten Varietee- und Operettenauffuhrungen übrig geblieben waren. Ordentlich gefaltet, mit Seidenpapier und Mottenkugeln dazwischen, lagerten dort in Truhen und Kleidersäcken Reifröcke und Togen. Kimonos und Kilts. Schuhe, Perücken und Rüstungen.
Seit Mrs. Clark den Stecker der Waschmaschine abgeschnitten hat, sind die von uns mitgebrachten Kleider allesamt verdreckt und verschwitzt. Seit Mr. Whittier den Heizkessel unbrauchbar gemacht hat, ist es in dem Gebäude täglich kälter geworden. Und deshalb tragen wir jetzt also diese Tuniken und Sarongs und Waffenröcke. Samt und Brokat. Pilgerhüte mit Silberschnallen. Unterarmlange Handschuhe aus weißem Leder.
»Diese Zimmer...«, sagt Gräfin Weitblick, die in ihrem Turban herumstolpert; sie hat sich die Zehen abgeschnitten, nicht aber das Plastikarmband mit dem GPS-Sender an ihrem Handgelenk. »Diese Kleider... alles voller Blut...«, sagt sie. »Ich komme mir vor wie in einem sehr gruseligen Grimmschen Märchen.«
Wir trugen Pelzstolen, gefertigt aus kleinen Tieren, die sich ringsum in den Arsch beißen. Nerze und Frettchen und Wiesel. Tot, aber die Zähne immer noch tief eingegraben.
Hier im italienischen Renaissance-Salon ließ Sankt Prolaps sich vor Mutter Natur auf ein Knie nieder, fasste ihre blutige Hand, sah in ihre aufgeschlitzte Nase hinauf und sagte: »Kannst du so tun, als ob du mich bis ans Ende deines Lebens lieben würdest?«
Und auf einem Knie kniend, schob Sankt Prolaps den klebrig-roten dreikarätigen Diamantring, den er von Lady Tramps Hand abgeschnitten hatte, schob er den funkelnden toten Lord Tramp auf den mit Henna bemalten Finger von Mutter Natur.
Und sein Magen knurrte.
Und sie lachte, und Blut und Schorf rieselte in alle Richtungen.
Inzwischen sind auch diese Seidenblusen und Leinenhemden starr und steif von Blut. Schlaffund leer hängen die Handschuhfinger. Als Ersatz für fehlende Zehen haben wir zusammengerollte Socken in Schuhe und Stiefel gestopft.
Die Pelzstolen, die Wiesel und Frettchen, weich wie das Fell der Katze.
»Mästet die Katze nur weiter«, sagt Miss America. »Dann können wir sie zu Thanksgiving als Truthahn braten.«
»Sag das nicht mal im Scherz«, weist Direktorin Dementi sie zurecht und krault den dicken Bauch der Katze. »Die kleine Cora ist mein Baby...«
Miss Americas gebleichtes Haar ist gewachsen, die braunen Haaransätze können als Maß dafür dienen, wie lange wir schon hier eingesperrt sind. Sie beobachtet, wie die Katze den nächsten Finger benagt. Dann richtet sie den Blick auf die Direktorin Dementi und sagt: »Falls du meinen Bauchtrainer genommen
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