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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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hast, gib ihn mir zurück.« Sie deutet mit den Händen die Größe an und sagt: »Ein rundes Ding aus rosa Plastik, ungefähr so. Du erinnerst dich.«
    Die Direktorin bürstet Katzenhaare von ihrem klebrigen gelben Seidenverband und sagt: »Was ist mit deinem ungeborenen Kind?«
    Und Miss America streichelt sich den Bauch und sagt: »Der Kuppler sollte mir seinen Penis zu essen geben.« Sie sagt: »Ich bin hier diejenige, die für zwei nicht isst.«

Tätigkeitsbeschreibung
Ein Gedicht über die Direktorin Dementi
    »Ein Polizist«, sagt Direktorin Dementi, »muss auch einen
    Satansanbeter beschützen.« Man kann sich das nicht aussuchen.

    Direktorin Dementi auf der Bühne, die Tweedärmel ihres Blazers
    verschwinden hinter ihrem Rücken,
    auf dem sie sich heimlich an den Händen hält. Sie steht
    wie vor einem Erschießungskommando.
    Ihre grau melierten Haare: absichtlich so kurz geschnitten,
    dass sie wie gesträubt aussehen.

    Auf der Bühne, statt eines Scheinwerfers, ein Filmausschnitt:
    das Video einer Überwachungskamera, schwarzweiß und körnig.
    Festgenommene Verdächtige, aufgereiht
    zur Identifizierung durch einen Zeugen.
    Verdächtige in Handschellen, die Mäntel über den Nacken
    hochgezogen,
    damit man beim Gang ins Gericht ihr Gesicht nicht sieht.

    Auf der Bühne steht Direktorin Dementi,
    ihr Schulterhalfter
    beult das Revers ihres Blazers aus.
    Ihr Tweedrock über weißen Laufschuhen,
    die Schnürsenkel doppelt geknotet.

    Sie sagt: »Ein Gesetzeshüter muss sein Leben für so ziemlich
    jeden hingeben.«
    Man stirbt für Leute, die Hunde treten.
    Drogensüchtige. Kommunisten. Lutheraner.
    Man stirbt, um reiche Kinder mit dickem Konto zu schützen.
    Kinderschänder. Pornographen. Prostituierte.
    Wenn auf der nächsten Kugel dein Name steht.

    Auf ihrem Gesicht drängen sich Opfer und Täter in
    Schwarzweiß.
    Direktorin Dementi sagt: »Man stirbt für
    Sozialbetrüger...«
    Und Transvestiten.
    Für Leute, die einen hassen. Für Leute, die einen als Helden
    verehren.
    Du kannst sie dir nicht aussuchen, wenn du an der Reihe bist.

    »Und wenn man völlig begriffsstutzig ist«,
    sagt Direktorin Dementi,
    »gibt man
    sogar im Sterben die Hoffnung nicht auf.«
    Du hast die Welt ein kleines bisschen besser gemacht.
    Und vielleicht, aber nur vielleicht, wird dein Tod der
    letzte sein.

Exodus
Eine Erzählung von Direktorin Dementi
    Bitte versteht mich recht.
    Niemand hier will rechtfertigen, was Cora getan hat.
    Vor etwa zwei Jahren ist ein einziges Mal etwas Ähnliches passiert. Im Frühjahr und Herbst muss die Belegschaft der Wache einen Auffrischungskurs in Mund-zu-Mund-Beatmung machen. Herz-Lungen-Reanimation. Die Gruppen treffen sich im Krankenraum und üben Herzmassage an einer Attrappe. Das wird jeweils zu zweit gemacht, die Kursleiterin drückt rhythmisch auf den Brustkasten, der andere kniet sich drüber, kneift die Nase zu und bläst Luft in den Mund. Bei der Attrappe handelt es sich um das Modell Betty, das bloß aus Oberkörper und Kopf besteht. Weder Arme noch Beine. Blaue Gummilippen. Die Augen starr aufgerissen. Grün. Immerhin, Bettys Hersteller hat ihre Augen mit langen Wimpern versehen. Und ihr eine Glamour-Girl-Perücke angeklebt, die roten Haare so weich und glatt, dass man gar nicht merkt, wie man mit den Fingern da hindurchstreicht, bis jemand sagt: »Lassen Sie das...«
    Während sie neben der Attrappe kniete und ihre gespreizten rot lackierten Fingernägel auf den Brustkasten legte, erzählte die Kursleiterin, Direktorin Sedlak, die Gussform für das Modell Betty sei die Totenmaske eines französischen Mädchens gewesen.
    »Wahre Geschichte«, erklärte sie der Gruppe.
    Dieses Gesicht da auf dem Fußboden ist das Gesicht einer Selbstmörderin, die vor über einem Jahrhundert aus dem Wasser gezogen wurde. Diese blauen Lippen. Diese leblos starren Augen. Modell Betty, alle Exemplare dieser Produktreihe sind nach dem Gesicht einer jungen Frau geformt, die sich vor hundert Jahren in die Seine gestürzt hat.
    Ob das Mädchen aus Liebe oder Einsamkeit in den Tod gegangen ist, werden wir nie erfahren. Aber damals hat die Polizei einen Gipsabdruck von ihrem toten Gesicht gemacht, der helfen sollte, ihren Namen zu ermitteln, und Jahrzehnte später gelangte die Totenmaske in den Besitz eines Puppenherstellers, der danach das erste Exemplar des Modells formte.
    Trotz des Risikos, dass in irgendeiner Schule, Fabrik oder Armee-Einheit eines Tages jemand sich über die Attrappe beugen und seine

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