Die Kolonie
Mitglieder unserer ansonsten friedfertigen pluralistischen Gesellschaft...
Webber unterbricht seine Pantomime zu »Buttons and Bows« in der eleganten Doris-Day-Version (nicht die lausige Dinah-Shore-Version) - er steckt in einem trägerlosen Futteralkleid aus blauem Satin, das seine Brustbehaarung, seine Schulter- und Armbehaarung von Handgelenk zu Handgelenk wie eine üppige schwarze Federboa aussehen lässt - und fragt das Mädchen: »Was ist? Willst du einen Schlag kaufen oder nicht?«
Flint, der nur einen Schritt von ihm entfernt am Anfang der Schlange steht und bei den Leuten abkassiert, Flint sagt: »Hau ihn, so fest du kannst.« Er sagt: »Mädchen zahlen die Hälfte.«
Und die Kleine sieht die beiden nur an, tappt mit einem Tennisschuh auf dem Boden herum und zieht die zusammengepressten Lippen weit auf eine Seite.
Schließlich sagt sie: »Haben Sie auch diesen Titanic-Song drauf?«
Und Flint nimmt ihre zehn Dollar und legt ihr einen Arm um die Schulter. »Für dich«, sagt er, »lassen wir diesen Song den ganzen Abend laufen...«
Das war der Abend, an dem sie endlich die fünfzigtausend für ihre Mission zusammenbekamen.
Unter dem Flugzeug sieht man jetzt die zerfetzte goldbraune Küstenlinie von Saiudi-Arabien. Die Fenster einer Gulfstream sind zwei-, dreimal größer als die kleinen Bullaugen in einem gewöhnlichen Passagierflugzeug. Wenn man hier hinaussah wenn man die Sonne sah und den Ozean und alles andere zusammen aus dieser Höhe -, konnte man wieder Lust auf das Leben bekommen. Die ganze Mission abblasen und nach Hause gehen. Da mochte die Zukunft noch so düster sein.
Der Treibstofftank einer Gulfstream reicht für sechstausendsiebenhundertfünfzig Seemeilen, selbst bei achtundfünfzig Prozent Gegenwind. Bis zu ihrem Ziel waren es nur sechstausendsiebenhundert und eine, so dass gerade noch Treibstoff genug bleiben würde, ihre Fracht loszuwerden, ihre Koffer und die unzähligen Säcke, die Jenson in Florida geladen hatte, wo sie gelandet waren, weil dem Piloten plötzlich schlecht geworden war. Das geschah, nachdem man ihm eine Tasse Kaffee gebracht hatte. Nach drei Vicodin, fein zerstoßen in schwarzen Kaffee gerührt, würde sich wohl jeder ziemlich benommen, groggy, k.o. vorkommen. Also landeten sie. Brachten den Piloten von Bord. Luden die Säcke ein. Mr. Jenson, der Säcke mit Ammoniumnitrat herbeischleppte. Und Flints Freundin Sheila, frisch von der Flugschule, stand schon bereit, die Maschine zu übernehmen.
Durch die offene Cockpittür sieht man Sheila, sie nimmt ihren Kopfhörer ab und hängt ihn sich um den Hals. Sie dreht sich halb zu ihnen um und sagt: »Gerade im Radio gehört. Jemand hat ein Flugzeug voll Dünger in den Vatikan gejagt.«
Sieh mal an, sagt Webber.
Flint lehnt entspannt in seinem weißen Ledersessel, schaut aus dem Fenster und sagt: »Wir haben Gesellschaft bekommen.« Zwei Jagdflieger. Flint winkt ihnen zu. Die Piloten der kleinen Kampfjäger winken nicht zurück.
Und Webber betrachtet das schmelzende Eis in seinem leeren Glas und sagt: »Wo fliegen wir hin?«
Aus dem Cockpit sagt Sheila: »Die sind schon bei uns, seit wir bei Dschidda ins Landesinnere abgebogen sind.« Sie setzt sich die Kopfhörer wieder auf die Ohren.
Und Flint beugt sich über den Gang, um sein leeres Glas mit Scotch aufzufüllen, und sagt: »Schon mal was von Mekka gehört, Alter? Al-Haram?« Er sagt: »Die Kaaba?«
Sheila, eine Hand am Kopfhörer, sie sagt: »Sie haben den Tabernakel der Mormonen ... die Zentrale der Baptisten ... die Klagemauer und den Felsendom... das Beverly Hills Hotel...«
Tja, sagt Flint. Die Abrüstung hat nichts genützt. Die Vereinten Nationen auch nicht. Vielleicht bringt's ja das hier.
Webber sagt: »Was ist denn im Beverly Hills Hotel?«
Und Flint leert sein Glas und sagt: »Der Dalai Lama.«
Dieses Mädchen in Missoula, Montana. Webber ermittelte noch am selben Abend ihren Namen und ihre Telefonnummer. Als es so weit war, dass sie alle ihr Testament verfassen mussten, vermachte Webber ihr alles, was er auf der Welt besaß, auch den Mustang, der bei seinen Eltern auf dem Grundstück parkte, sein teures Spezialwerkzeug und vierzehn Coach-Handtaschen inklusive dazu passender Schuhe und Kostüme.
An diesem Abend, nachdem sie fünfzig Dollar bezahlt hat, um Webber ein paar reinzuhauen, sieht die Kleine ihn an, ihn mit seinem blinden, fast komplett zugeschwollenen Auge und seinen aufgeplatzten Lippen. Er ist nur drei Jahre älter als sie, sieht aber
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