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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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im Zahnfleisch wackeln, jeder einzelne nach unten spitz zulaufend, so dass man die schmale braune Wurzel sieht, reicht den Pfirsich an den Herzog der Vandalen weiter.
    Der Herzog hat seinen Pferdeschwanz aufgelöst, die Haare hängen ihm ins Gesicht. Sein Unterkiefer malmt langsam auf dem Stück Nikotinkaugummi herum, das er schon seit Ewigkeiten kaut. Seine Haare riechen nach Nelkenzigaretten.
    Der Herzog reicht den Pfirsich an Miss America weiter; die ausgewachsenen schwarzen Haaransätze ihrer blond gebleichten Haare zeigen an, wie lange wir schon hier eingeschlossen sind. Unsere arme schwangere Miss America.
    Der Baum über uns wird für einen Augenblick dunkel. In diesem Augenblick existieren wir nicht. Nichts existiert. Im nächsten Augenblick ist der Strom wieder da. Wir sind wieder da.
    »Das Gespenst«, sagt Agent Plaudertasche gedämpft hinter seiner Videokamera.
    »Das Gespenst«, wiederholt Graf Schandmaul in das Diktiergerät in seiner Faust.
    Jede Spannungsschwankung, jeden kalten Luftzug, jedes seltsame Geräusch, jeden Essensgeruch - inzwischen schieben wir alles auf das Gespenst.
    Für Agent Plaudertasche ist das Gespenst ein ermordeter Privatdetektiv.
    Für Graf Schandmaul ist das Gespenst ein ehemaliger Kinderdarsteller.
    Die Messingzweige des Baums. Gewunden, gebogen, verdreht, wie in stumpfes Gold getauchte Ranken. Daran die »Blätter« aus Glas und Kristall. Das klirrende Rascheln, wenn man hineingreift. Der brenzlige Staubgeruch auf den »reifen«, noch weiß leuchtenden Pfirsichen. So heiß, dass man sie nur anfassen kann, wenn man sich die Hand mit Fetzen von Samtröcken oder Brokatwesten umwickelt. Die anderen, »faulen« Pfirsiche, erloschen und kalt, mit Staub und weißen Spinnweben überzogen. Die Kristallblätter weiß und silbern und grau in einem. Wenn sie sich drehen, funkeln sie an den Kanten kurz in allen Regenbogenfarben auf, bevor sie wieder farblos werden.
    Die Zweige, verdreht und dunkelbraun angelaufen. Auf jedem balanciert ein schwarzer Reispfad aus getrocknetem Mäusedreck.
    Der Kuppler - ständig ruckt er mit dem Oberkörper vor und zurück, er hält den Atem an, streckt die Hand aus, greift zwischen die Zweige und pflückt einen Pfirsich nach dem anderen. Und wirft die noch heißen Pfirsiche Missing Link zu, der sie zwischen zwei Seidenkissen auffängt. Missing Link, unsere Sportskanone. Der Athlet mit den schamhaardichten, in der Mitte zusammengewachsenen Augenbrauen. Der Champion mit dem gespaltenen Kinn, groß wie zwei Eier im Sack.
    Schon nach diesem kurzen Flug ist der Pfirsich so weit abgekühlt, dass man ihn anfassen kann. Mutter Natur zieht ihn zwischen den Kissen hervor und packt ihn in eine mit alten Perücken ausgelegte Hutschachtel, die Miss Rotz mit beiden Händen fest an ihren Bauch gedrückt hält.
    Mutter Natur, rote Hennamuster auf Handrücken und allen Fingern. Bei jeder Kopfbewegung bimmeln die Messingglöckchen an der Kette um ihren Hals. Ihr Haar riecht nach Sandelholz, Patschuli und Minze.
    Miss Rotz hustet. Die arme Miss Rotz muss immerzu husten, ihre Nase ist rot und platt auf eine Seite gebogen, weil sie sich ständig mit dem Ärmel darüberfährt. Ihre vorquellenden Augen schwimmen in Tränen, das Weiß mit roten Äderchen durchzogen. Miss Rotz hustet und hustet, stützt sich mit beiden Händen auf den Knien ab, die Zunge hängt ihr heraus.
    Manchmal muss sich der Kuppler an einem Stuhlbein oder der Marmorkante eines Tisches festhalten, damit die Leiter nicht zusammenbricht.
    Manchmal stellt sich Gräfin Weitblick auf die Zehenspitzen, reckt einen staubigen Besen so hoch sie kann über ihren Kopf und dreht den Baum ein Stück weiter, damit der Kuppler besser an die noch übrigen reifen Pfirsiche herankommen kann. Die noch so heiß sind, dass sie Kupfer zum Kochen bringen können. Wenn sie so gestreckt auf den Zehenspitzen steht, sieht man das GPS-Armband an ihrem Handgelenk. Das sie tragen muss, weil das zu ihren Bewährungsauflagen gehört.
    Für Gräfin Weitblick ist das Gespenst ein alter Antiquitätenhändler, dem man mit einem Rasiermesser die Kehle aufgeschlitzt hat.
    Und mit jedem Pfirsich, den der Kuppler »pflückt«, wird der Baum ein wenig dunkler.
    Für Sankt Prolaps ist das Gespenst ein abgetriebenes Baby mit zwei Köpfen, die beide sein hageres Gesicht haben.
    Für Baronin Frostbeule trägt das Gespenst eine weiße Schürze und verflucht Gott.
    Manchmal klopft Schwester Vigilante auf das Glas ihrer schwarzen Armbanduhr und sagt:

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