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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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aus wie ihre Großmutter. Dann fragt sie: »Also, warum tun Sie das?«
    Und Webber zieht sich die Perücke vom Kopf, Strähnen und Locken blonder Haare, die am getrockneten Blut um seine Nase und seinen Mund kleben. Webber sagt: »Jeder will die Welt verbessern.«
    Flint nimmt einen Schluck kalorienarmes Bier und sieht Webber an. Kopfschüttelnd sagt er: »Du Arsch...« Flint sagt: »Ist das meine Perücke?«

11
    Nicht jeder Tag war ein Tag des Schreckens.
    Der Kuppler nannte diese eine Sache »weiße Pfirsiche pflücken«.
    Man schiebt unter dem »Baum« zwei weiße Sofas zusammen, die Vorderseiten einander gegenüber. Auf dieser Sofainsel errichtet man eine »Leiter« aus kleinen goldverzierten Tischen. Die Tische haben eine schwere, grau-rosa geäderte Marmorplatte. Oben auf diesen Turm stellt man zerbrechliche, eierschalenspröde Fauteuils, auf denen man noch höher klettern kann. Und dann schaut man in die grauen Nester der Perücken da unten, in die nach hinten gelegten Gesichter, so weit nach hinten, dass ihnen die Münder sperrangelweit offen stehen. Von da oben sieht man in die Grube hinter ihren Schlüsselbeinen, die Treppenstufen ihrer Rippen, die in ihren Kleidern oder Kragen verschwinden.
    Jeder von uns hat seine Hände in blutige Lappen gewickelt. Handschuhe hängen schlaff mit leeren Fingern. Schuhe, ausgestopft mit zusammengerollten Socken als Ersatz für fehlende Zehen.
    Wir nennen uns Volkskomitee zur Erhaltung des Tageslichts.
    Der Kuppler, die Hand vorsichtshalber in Samt gehüllt, pflückt einen »Pfirsich« und reicht ihn dem dürren Sankt Prolaps hinunter. Der reicht ihn an den Killerkoch weiter, den dicken Koch, dessen Wanst im Bund seiner Hose schaukelt wie in einer Hängematte.
    Agent Plaudertasche, die Videokamera vor der Nase, dokumentiert den Weg des Pfirsichs von Hand zu Hand.
    In. den ältesten Pfirsichen, die schon dunkel geworden sind, kann man sich spiegeln. Der Kuppler sagt, das kommt von dem Wolframfaden. Wenn Strom durch den dünnen Draht fließt, würde er eigentlich verbrennen. Damit das nicht passiert, ist der Pfirsich mit einem geruchlosen Edelgas gefüllt, Argon in der Regel. Die allerältesten sind leer. Ein Vakuum.
    Der Kuppler, rosa Sommersprossen auf den Wangen, noch mehr rosa Sommersprossen auf den Unterarmen, weil er die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgekrempelt hat, der Kuppler sagt: »Der Schmelzpunkt von Wolfram liegt bei dreitausendvierhundertsieben Grad Celsius.« Die normale Hitze eines Pfirsichs reicht, um eine Bratpfanne zu schmelzen. Mit dieser Hitze kann man Kupfer zum Kochen bringen. Über zweitausend Grad Celsius.
    Das Wolfram verbrennt jedoch nicht, sondern verdampft nur, ein Atom nach dem anderen. Manche dieser Atome prallen von den Argonatomen ab und lagern sich als perfekt geformte Kristalle auf dem Glühfaden an. Andere Wolframatome wiederum verbinden sich mit der kühleren Innenseite des gläsernen »Pfirsichs«.
    Die Atome »kondensieren«, sagt der Kuppler. Überziehen die Innenseite des Glases mit Metall, so dass die Außenseite zum Spiegel wird.
    Innen schwarz beschlagen, sind die Glühbirnen kleine kugelförmige Spiegel, die uns dick und rund aussehen lassen. Sogar den dünnen Sankt Prolaps, dem die Hosenbeine und Hemdsärmel nur so um die dürren Gliedmaßen schlottern.
    Nicht alle unsere Tage waren mit Mord und Folter angefüllt. Manche verliefen einfach so:
    Genossin Snarky hält sich einen Pfirsich vors Gesicht und dreht den Kopf hin und her, um sich in dem gewölbten Glas von allen Seiten zu betrachten. Mit den Fingerspitzen der freien Hand zieht sie die lose Haut über einem Ohr nach hinten. Dabei verschwindet die dunkle Höhlung unter dem Wangenknochen. »Das wird sich furchtbar anhören«, sagt Genossin Snarky. Ihre Finger lassen die Haut los, und die Gesichtshälfte faltet sich in die alten Runzeln zurück. »Ich habe mir früher oft Fotos von Leuten hinter Stacheldraht in Todeslagern angesehen«, sagt sie. »Diese lebenden Skelette. Und immer habe ich dabei gedacht: ›Diese Leute könnten alles tragen ‹.«
    Graf Schandmaul streckt die Hand nach ihr aus, um jedes ihrer Worte mit seinem handgroßen Diktiergerät einzufangen.
    Genossin Snarky reicht den Pfirsich an Baronin Frostbeule weiter.
    Die sagt: »Du hast Recht.« Baronin Frostbeule sagt: »Das klingt wirklich furchtbar.«
    Und Genossin Snarky beugt sich über das Mikrofon und sagt: »Wenn du das aufnimmst, bist du ein Arschloch.«
    Baronin Frostbeule mit ihren losen Zähnen, die

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