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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Spucke von den Lippen und sagt: »Wie meinst du das?« Er hakt beide Daumen in die Träger seiner Latzhose.
    »Wenn ihr diese Geschichte verkauft habt«, sagt Mrs. Clark, »sucht ihr dann wieder nach einem neuen Schurken?« Sie sagt: »Wollt ihr bis an euer Lebensende immer nur irgendwen suchen, dem ihr die Schuld an allem geben könnt?«
    Und Agent Plaudertasche sagt lächelnd: »Immer mit der Ruhe. Es hat keinen Sinn, einem von uns die Schuld zu geben. Es gibt Opfer«, sagt er und zeigt sich auf die Brust. »und es gibt Schurken«, sagt er und zeigt auf Mrs. Clark. »Komm nicht mit Graunuancen, denen die Masse nicht folgen kann.«
    Und Mrs. Clark sagt: »Ich habe diesen jungen Mann nicht getötet.«
    Und der Agent macht eine abschätzige Handbewegung. Er schultert seine Kamera und sagt: »Wenn du hier die Sympathie des Publikums haben willst, wirst du darum kämpfen müssen.« Der Scheinwerfer der Kamera flammt auf, nimmt sie ins Visier, und Agent Plaudertasche sagt: »Erzähl mal was. Am besten eine Rückblende, damit die Leute zu Hause ein ganz klein bisschen Mitgefühl für dich entwickeln...«

Die Albtraum-Box
Eine Erzählung von Mrs. Clark
    Am Abend vor ihrem Verschwinden schnitt sich Cassandra die Wimpern ab.
    Als ginge es um eine Handarbeit, nimmt Cassandra Clark eine Schere aus ihrer Handtasche, eine kleine Nagelschere, beugt sich vor den großen Spiegel über dem Waschbecken im Bad und betrachtet sich. Die Augen halb geschlossen, den Mund halb offen - ein solches Gesicht macht sie sonst, wenn sie Mascara aufträgt -, stützt sich Cassandra mit einer Hand auf der Ablage ab und beginnt mit der anderen zu schneiden. Während die langen schwarzen Wimpern in den Abfluss rieseln, sieht sie ihre Mutter, die hinter ihr im Spiegel steht, kein einziges Mal an.
    In dieser Nacht hört Mrs. Clark sie aus dem Bett steigen. In der einen Stunde, wo kein Verkehr auf der Straße ist, geht sie, ohne irgendein Licht anzumachen, nackt ins Wohnzimmer. Geräusche: das Knarren der Federn in dem alten Sofa. Dann das Kratzen und Klicken eines Feuerzeugs. Dann ein Seufzer. Ein Schwall Zigarettenrauch.
    Als die Sonne aufgegangen ist, sitzt Cassandra immer noch nackt auf dem Sofa; die Vorhänge sind aufgezogen, Autos fahren vorbei. Es ist kalt, sie hat Arme und Beine fest aneinander geschmiegt. In einer Hand hält sie die Zigarette, bis zum Filter abgebrannt. Asche neben ihr auf dem Polster. Sie ist wach, sie starrt den leeren Bildschirm des Fernsehers an. Vielleicht sieht sie darin ihr Spiegelbild, nackt im schwarzen Glas. Ihre Haare sind strähnig und verfilzt. Ihr Lippenstift ist zwei Tage alt und immer noch über ihre Wange verschmiert. Ihr Lidschatten lässt die Falten um ihre Augen scharf hervortreten. Ohne Wimpern wirken ihre grünen Augen stumpf und falsch, weil man sie niemals blinzeln sieht.
    Ihre Mutter sagt: »Hast du davon geträumt?«
    Mrs. Clark fragt, ob sie ihr Arme Ritter machen soll. Mrs. Clark dreht die Heizung auf und holt Cassandras Morgenmantel vom Haken an der Badezimmertür.
    Cassandra sitzt in der kalten Sonne, ihre Arme, dicht an den Körper gepresst, drücken ihre Brüste nach oben. Auf ihren Oberschenkeln liegt Zigarettenasche. In ihren Schamhaaren hängt Zigarettenasche. Die Sehnen unter der Haut an ihren Füßen zucken. Ihre Füße, die nebeneinander auf dem gewienerten Fußboden stehen, sind das Einzige an ihr, das nicht starr wie eine Statue ist.
    Mrs. Clark sagt: »Ist dir etwas eingefallen?« Ihre Mutter sagt: »Du hattest dein neues schwarzes Kleid an...« Sie sagt: »Das superkurze.«
    Mrs. Clark wirft ihrer Tochter den Morgenmantel über, legt ihn ihr sorgsam um den Hals. Sie sagt: »Es ist in dieser Galerie passiert. Gegenüber dem Antiquitätenladen.«
    Cassandra lässt ihr dunkles Spiegelbild auf dem Fernsehschirm nicht aus den Augen. Sie blinzelt nicht, der Morgenmantel rutscht runter und gibt ihre Brüste wieder der Kälte preis.
    Und ihre Mutter fragt, was sie gesehen hat. »Ich weiß nicht«, sagt Cassandra. Sie sagt: »Ich kann es nicht sagen.«
    »Warte, ich hole meine Notizen «, sagt Mrs. Clark. Sie sagt: »Ich glaub, ich weiß jetzt, was da war.«
    Als sie aus dem Schlafzimmer zurückkommt, die dicke braune Mappe mit Notizen aufgeschlagen in einer Hand, damit sie mit der anderen Hand darin blättern kann, als sie ins Wohnzimmer kommt, ist Cassandra weg.
    In diesem Augenblick sagt Mrs. Clark: »Die Albtraum-Box funktioniert so: vorne...« Aber Cassandra ist weder in der Küche noch im

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