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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Bad. Cassandra ist nicht im Keller. Mehr Räume hat das Haus nicht. Sie ist weder im Garten noch auf der Treppe. Ihr Morgenmantel liegt noch auf dem Sofa. Ihre Handtasche, ihre Schuhe, ihr Mantel: alles noch da. Ihr Koffer liegt noch auf dem Bett, halb gepackt. Nur Cassandra ist weg.
    Es war nichts, hat Cassandra zuerst gesagt. Nach ihren Notizen war es eine Galerie-Eröffnung.
    In Mrs. Clarks Notizen steht: »Zufalls-Intervall-Timer.«
    Da steht: »Der Mann hat sich erhängt.«
    Angefangen hat es an dem Abend, an dem alle Galerien ihre neuen Ausstellungen eröffneten. In der Innenstadt wimmelte es von Leuten, alles noch in Büro- oder Schulkleidung, und alle hielten Händchen. Mitteljunge Paare in dunklen Sachen, auf denen der Schmutz vom Taxisitz nicht so deutlich zu sehen war. Sie trugen ihren guten Schmuck, den sie in der Subway nicht tragen konnten. Ihre Zähne so weiß, als ob sie die nie zu etwas anderem als zum Lächeln benutzten.
    Sie alle beobachteten einander, wie sie sich Kunst ansahen, bevor sie einander beim Essen beobachteten.
    Das steht alles in Mrs. Clarks Notizen.
    Cassandra hatte ihr neues schwarzes Kleid an. Das superkurze.
    Sie nahm an diesem Abend ein Glas Weißwein, nur um es zu halten. Weil ihr Kleid trägerlos war, wagte sie das Glas nicht anzuheben, sondern behielt die angewinkelten Arme immer dicht am Körper. Damit wiederum spannte sie irgendeinen Brustmuskel. Einen Muskel, den sie beim Basketball in der Schule entdeckt hatte. Der schob ihre Brüste so hoch, dass ihr Dekollete direkt am Hals anzufangen schien.
    Das Kleid war schwarz und mit schwarzen Pailletten und Perlen bestickt. Eine Kruste aus grobem schwarzen Glitzerzeug, in der rosa und fleischig ihre Brüste lagen. Eine harte schwarze Schale.
    Ihre Hände mit den rot lackierten Fingernägeln sahen aus wie mit Handschellen an den Stiel des Weinglases gefesselt. Wie schwer und dick ihre gewellten, hochgesteckten Haare waren. Einzelne Strähnen und Locken hatten sich gelöst, aber sie wagte keine Hand zu heben, um das zu richten. Ihre nackten Schultern, ihre zerfallende Frisur. Und dann die Stöckelschuhe, die ihre Beinmuskulatur spannten, ihren Hintern hochschoben und am unteren Ende eines langen Reißverschlusses aufwölbten.
    Ihr perfekter Lippenstiftmund. Keine rote Schmiere an dem Glas, das sie nicht zu heben wagte. Ihre riesigen Augen unter den langen Wimpern. Die grünen Augen das einzige an ihr, das sich in dem überfüllten Raum bewegte.
    Lächelnd stand sie da, im Zentrum einer Kunstgalerie, die einzige Frau, an die man später noch denken würde. Cassandra Clark, erst fünfzehn Jahre alt.
    Das war weniger als eine Woche vor ihrem Verschwinden. Nur drei Tage.
    Mrs. Clark sitzt auf der warmen Stelle und der Asche, die Cassandra auf dem Sofa hinterlassen hat, und geht die Notizen in ihrer Mappe durch.
    Der Galeriebesitzer sprach mit ihnen, mit ihnen und den Umstehenden.
    »Rand«, steht in ihren Notizen. Der Galerist hieß Rand.
    Der Galeriebesitzer zeigte ihnen eine Box auf drei hohen Beinen. Ein Stativ. Die Box war schwarz und von der Größe einer altmodischen Kamera. Man kennt diese Kästen: Der Fotograf steht gebückt dahinter, den Kopf unter einem schwarzen Tuch, das die mit Chemikalien präparierte Glasplatte darin schützen soll. Wie die Kameras aus der Zeit des Bürgerkriegs, bei denen man für das Blitzlicht Schießpulver nahm. Samt der Pilzwolke grauen Rauchs, der einem in der Nase brannte. Wenn man die Galerie betrat, war das der erste Eindruck: Diese Box auf drei Beinen sah aus wie eine Kamera.
    Die Box war schwarz angestrichen. »Lackiert«, sagte der Galeriebesitzer.
    Sie war schwarz lackiert, schmierig und voller Fingerabdrücke.
    Der Galeriebesitzer lächelte in den steifen, trägerlosen Ausschnitt von Cassandras Kleid hinein. Er hatte einen dünnen Schnurrbart, gezupft und gestutzt wie Augenbrauen. Ein kleiner Ziegenbart ließ sein Kinn sehr spitz erscheinen. Er trug einen blauen Bankiersanzug und in einem Ohr einen Ring, der zu groß war und zu künstlich funkelte, um ein echter Diamant zu sein.
    Die Box war an den Fugen mit dichten Reihen von Rillen verziert, die ihr das wuchtige Aussehen eines Banktresors verliehen. Die Fugen waren unter diesen Ornamenten und der dick aufgetragenen Farbe nicht zu erkennen.
    »Wie ein kleiner Sarg«, sagte jemand in der Galerie. Ein Mann mit Pferdeschwanz und Kaugummi.
    An beiden Seiten der Box waren Messinggriffe. Man muss sie in beide Hände nehmen, erklärte ihnen der

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