Die Kolonie
Scheich wird mich wahrscheinlich hinausschmeißen, damit
mich die Burschen da draußen fertigmachen.
Trotzdem grinste er, und sein Herz klopfte so heftig, als
wäre er eine Meile gelaufen. Dann merkte er, daß er das
Essen, das ihm Irene gebracht hatte, nicht einmal angerührt
hatte. Doch das machte ihm nichts aus. Er war kein bißchen
hungrig.
»Heiliger Bimbam!« brummte er vor sich hin. »Ich
liebe sie wirklich!«
Denny verbrachte den Nachmittag damit, sein Gefängnis
abzuschreiten. Er trat hundertmal auf den Balkon hinaus, selbst in
der glühenden Nachmittagssonne. Doch der Hof unter ihm war leer.
Die ganze Stadt schien in der Hitze zu dösen.
Er dachte daran, seinen Vormann anzurufen, aber er wußte,
daß er unfähig war, sich auf die Arbeit zu konzentrieren.
Obendrein machte es ihm wenig aus – zumindest für den
Augenblick.
Schließlich, als sich die Hitze des Nachmittags wie eine
Kuppel über ihn legte, warf er sich aufs Bett, immer noch im
Nachtgewand, und döste ein. Seine letzten Gedanken galten
irgendwelchen verschwommenen Warnungen aus seiner Kindheit in
Neufundland, die einer selbst unbewußten Selbstbefriedigung
galten.
Als er erwachte, war es dunkel. Das Öffnen der Tür holte
ihn aus dunklen Alpträumen. Der Traum versank schließlich
irgendwo im Unterbewußtsein wie ein schwindendes Bild auf einem
Fernsehschirm.
Er richtete sich auf dem Bett auf. Eine Frau brachte ihm das
Abendessen auf einem Silbertablett. Aber es war nicht Irene. Sie war
größer und trug einen Seidenschal um den Kopf. Ihr Gesicht
war von tiefen Schatten verhüllt.
Sei kein Narr, sie kann’s einfach nicht sein!
Doch sein Puls jagte.
Sie stellte das Tablett auf einen niedrigen Tisch, der inmitten
des Zimmers stand, dann trat sie ans Bett. Sie streifte den Schal
über die Schultern und lächelte ihm zu.
Im Dämmerlicht der Fenster erkannte er, daß es Bahjat
war, so atemberaubend schön, wie er sie in Erinnerung hatte. Sie
war wie eine Schönheit aus Tausendundeiner Nacht, eine
Scheherazade mit rabenschwarzem Haar, flammenden Augen und schmalen
Hüften. In ihrem Gesicht spiegelten sich Schönheit,
Intelligenz und Liebe.
Denny versuchte zu sprechen, doch seine Stimme versagte.
Sie legte einen Finger auf die Lippen und flüsterte:
»Ich kann nur für einen Augenblick bleiben. Der Arzt sagte
mir, daß Sie sich sehr schnell erholen. Das freut
mich.«
»Ich wollte Ihnen danken…«
Sie schüttelte leicht den Kopf. »So ein hübscher
rothaariger Eirisch. Wie hätte ich zulassen können,
daß Sie sterben?«
Sie lehnte sich schnell herüber und küßte ihn.
Aber als sich Denny erhob, um sie zu umarmen, wich sie zurück
und ging auf die Tür zu.
»Ich komme wieder«, flüsterte sie. Dann war sie
verschwunden.
Es gibt merkwürdige Parallelen zwischen dem Altern und
Sterben unserer Städte und dem Vergehen der Sterne wie etwa der
Sonne.
Wenn ein Stern in die Jahre kommt, verlieren seine Quellen
nuklearer Energie an Kraß. Er schwillt an und wird zu einem
Roten Riesen. Doch während er sich ausbreitet, wird sein Kern
immer dichter, heißer und degenerierter. Schließlich,
wenn ihm die Energie ausgeht, fällt der Stern in sich zusammen.
Bei Sternen, die massiver sind als die Sonne, leitet der
Zusammenbruch eine Supernova-Explosion ein, die alles bis auf den
kleinen heißen Kern zerstört. Und war der Stern
ursprünglich wirklich groß, verschwindet selbst dieser
kleine Kern in einem sogenannten Schwarzen Loch, wie es die
Astronomen nennen.
Sobald eine Stadt altert und ihre Energiequellen (Steuerzahler)
verliert, schwillt die Stadt an. Die Stadt dehnt sich über ihre
Grenzen aus. Doch genau wie bei einem Stern wird der Stadtkern
dichter, heißer und immer mehr degenerierter. Je
größer die Stadt, um so größer die
Wahrscheinlichkeit, daß sich ihre Agonie in einer Explosion
Luft macht. Großstädte wie etwa New York werden aller
Wahrscheinlichkeit nach so heftig explodieren, daß nicht mehr
viel von ihnen übrigbleibt, nicht einmal ein Schwarzes
Loch.
- Janice Markowitz
Die Evolution der Städte, 1984.
7. Kapitel
Der Zeitpunkt war richtig gewählt.
Es war schon nach Mitternacht, und die Straßen hätten
menschenleer sein müssen. Keiner, der alle Tassen im Schrank
hat, würde allein durch Manhattan streifen, schon gar nicht bei
Nacht, außer vielleicht Ratten oder streunende Katzen, die sich
ihrer Haut zu wehren wußten.
Bei Tag war Manhattan durchaus annehmbar – zumindest
stellenweise. Doch bei Nacht
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