Die Kolonie
das
Telefon. Evelyn hob den Kessel vom Brenner, der sich automatisch
ausschaltete, sobald kein Gewicht mehr auf ihm lastete. Sie stellte
den Kessel neben den Brenner und legte sich quer über ihr
chaotisches Bett, um das Telefon zu erreichen.
Sie drückte die NUR-TON-Taste und machte es sich auf dem Bett
bequem, während auf dem kleinen Bildschirm ihres Telefons das
Bild von Sir Charles Norcross erschien. Er sah gut aus, der Mann, gut
genug für einen TV-Star oder sogar für einen
Premierminister. Eines Tages wird er es sein, dachte Evelyn.
Ein aristokratisches, fast hageres Gesicht, doch Schalk im Blick, ein
Schalk, der sich in seinen hellen blauen Augen verbarg. Der
hübsche, kleine Schnurrbart zeigte erste graue Fäden, doch
sein übriges Haar war dicht und goldblond.
»Evelyn, Liebling, bist du da? Der Bildschirm ist leer. Hat
man vielleicht wieder dein Telefon gesperrt?«
»Darling, entschuldige, ich sehe nicht besonders gut
aus«, sagte sie.
»Wirklich? Ich kann in fünf Minuten bei dir
sein.«
»Und deine Karriere für eine arbeitslose Skandalnudel
riskieren, was?«
Sir Charles lächelte. »Bei dir wäre es mir das
wert. Ich habe mich nach deinem Körper gesehnt vom ersten
Augenblick an, da du mich interviewt hast.«
»Ja, das hast du mir damals schon gesagt. Nun gut… mein
Körper ist drauf und dran, sich mit meiner Seele zu
verschwören, wenn ich nicht bald einen Auftrag kriege.«
»Bei International haben sie dich auf die schwarze Liste
gesetzt, nicht wahr?«
Sie ruckte. »Ziemlich gründlich.«
»Ich wäre glücklich, wenn ich dir helfen
könnte«, meinte Sir Charles. »Wir könnten…
hm… vielleicht an meiner Biographie arbeiten. Ich werde dir
meine lange, langweilige Lebensgeschichte auftischen.«
»Und wir werden sie dann an deine Schlafzimmerdecke
schreiben? Wohl kaum.«
»Du hast zu viele Bedenken«, sagte Sir Charles und zog
es vor, die Brauen zusammenzuziehen. »Du wirst es in der Politik
nicht weit bringen.«
»Aber du«, meinte sie.
»Zumindest sollte ich«, gab er zurück.
»Gut. Spätestens wenn du Premierminister geworden bist,
kannst du eine Untersuchung anregen, warum die vielversprechende
junge Journalistin Evelyn Hall in ihrem Apartment in Paddington
verhungert ist.«
»Ist es so schlimm?«
»Es sieht ganz danach aus.«
Sir Charles strich sich mit dem Zeigefinger über den Bart.
»Ich… ich habe ein paar Neuigkeiten für dich. Wenn ich
mich richtig erinnere, hast du wegen der Staatsbürgerschaft
eines jungen Mannes nachgefragt, den du auf Eiland Eins interviewt
hast. David Adams, so war doch der Name?«
Evelyn stemmte sich hoch. »Ja. David Adams.«
Sir Charles zögerte für einen Augenblick, als wollte er
sich vergewissern, daß ihm keiner über die Schulter
guckte, dann fuhr er fort:
»Im Augenblick ist alles noch ziemlich unklar, aber offenbar
hat eine Entführung stattgefunden. Die RUV hat eine
Raumfähre von Alpha nach Messina gekapert.«
»Eine solche Nachricht kann man nicht
unterdrücken.«
»Ich glaube nicht«, gab Sir Charles zu. »Das
dürfte sogar der jetzigen Regierung klar sein. Die RUV wird sich
dieser Tat weltweit rühmen, und das kann jeden Augenblick
passieren. Ich glaube aber, daß du daran interessiert
wärst, zu erfahren, daß sich unter den Passagieren ein
Mann mit Namen David Adams befindet. Er kam von Selene und gab Eiland
Eins als Wohnort an.«
Evelyn konnte ihren Pulsschlag in Schläfe und Ohren
spüren. »Er ist da!«
»Er wurde entführt«, sagte Sir Charles. »Wir
wissen nicht genau, wo er sich befindet. Die Fähre sollte
ursprünglich in Messina landen.«
»Ich muß hin!«
Er aber schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Der
Sicherheitsdienst der Weltregierung hat das gesamte Gebiet der
Welthauptstadt abgeriegelt. Der nächste Flughafen, den du
erreichen kannst, ist Neapel.«
»Also dann Neapel!«
»Ich glaube, ich beginne diesen Adams zu hassen«, meinte
Sir Charles. »Kannst du das Geld für die Reise
aufbringen?«
In ihrem knurrenden Magen machte sich eine bodenlose Leere
bemerkbar. »Ich werd’s schon schaffen. Ich habe immer noch
ein Kreditkonto, das noch nicht zu sehr überzogen
ist.«
Sir Charles hob leicht die Augenbrauen. »Ich werde mein
Büro veranlassen, einen Flug und ein Hotelzimmer in Neapel zu
buchen.«
»Das kann ich nicht annehmen…«
»Natürlich kannst du das. Und du sollst es auch.«
Er lächelte schuldbewußt. »Schade, daß ich hier
so viel zu tun habe. Nun, ich glaube, daß es dort unten zu
dieser
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