Die Kommissarin und der Tote im Fjord
dunkel.
Auf dem Weg nach Hause schaute sie kurz in der Buchhandlung am Ende der Bygdøy Allé vorbei. Sie durchquerte den Raum bis zum Ende, zu den Regalen mit den Büchern, die der Welt nur bescheidene Rücken entgegenstreckten. In solchen Regalen fand Lena die Bücher, die ihr gefielen. Auch hier fand sie gleich mehrere. Aber sie wollte sie gern selbst lesen. Also ließ sie sie stehen und fuhr nach Hause, um sich wärmer anzuziehen.
*
Es war kurz nach fünf Uhr nachmittags, als sie sich wieder ins Auto setzte und zurückfuhr. Bei der Gimle Terrasse fand sie einen freien Parkplatz und wanderte die Bygdøy Allé entlang. Etwas später nickte sie dem Weihnachtsbaumverkäufer zu, der eifrig damit beschäftigt war, Bäume durch den riesigen Trichter zu ziehen, der sie in ein Netz einpackte. Lena hatte sich genauso warm angezogen wie der Weihnachtsbaumverkäufer:einen blauen Schneeanzug, Moonboots und Pelzmütze mit Ohrenklappen.
Es war eine harte Prüfung, bei solch einer Kälte jemanden zu beschatten. Lena hielt sich warm, indem sie sich bewegte. Sie lehnte sich abwechselnd gegen die Wand, ging kurze Strecken auf dem Bürgersteig hin und her oder hüpfte hinter den Weihnachtsbäumen auf und ab.
»Haben Sie einen besonderen Wunsch?«
Lena zuckte zusammen. Es war der Weihnachtsbaumverkäufer. Seine Augen blinzelten hellblau unter der Pelzmütze. Seine Wangen waren rot wie Äpfel, und sein schiefes Lächeln verriet, dass sein einer Schneidezahn eine Krone war, die viel weißer war als seine anderen Zähne. In der Hand hielt er einen hohen, schlanken Baum mit glänzenden Nadeln.
»Der hier passt zu Ihnen«, sagte er und zwinkerte ihr zu. »Passt zu Ihrer Persönlichkeit.«
»Ist aber wohl etwas zu hoch«, sagte Lena peinlich berührt und wusste nicht recht, wie sie auf diesen Vorstoß reagieren sollte. »Ich feiere Weihnachten mit meiner Mutter, und ihre Decken sind ziemlich niedrig.«
Der Weihnachtsbaumverkäufer nickte und drehte sich um, um nach Alternativen zu suchen.
»Der Baum ist toll«, sagte Lena schnell, »aber ich bin eigentlich gar nicht auf der Suche nach einem Baum, ich bin dienstlich hier.«
»Dienstlich?«
»Verkehrszählung«, sagte Lena schnell. »Überprüfe den Verkehr hier, in der Bygdøy Allé.«
Ein jüngeres Paar kam auf dem Bürgersteig heran und trat zwischen die Baumstämme. »Kunden«, sagte der Verkäufer mit entschuldigender Miene und ließ sie stehen.
Er kommt bestimmt gleich wieder, dachte Lena und überquerte sicherheitshalber die Straße.
Um kurz vor sieben winkte ein Schatten vom Fahrersitz eines schwarzen BMW ihr zu, fuhr langsam vorbei und hielt an der Bushaltestelle. Es war Iqbal von der Fahndungstruppe. Er ließ die Scheibe herunter.
»Du hast eine Stunde«, rief er.
»Zwei«, sagte Lena. »Ich habe noch nichts gegessen und muss dringend aufs Klo.«
»Anderthalb«, sagte Iqbal.
Sie brauchte zwei Stunden. Balkan Kebab hatte die besten Waren, aber im Bislet Kebab House kam das Essen schneller. Lena bekam ihr Essen direkt in die Hand. Sie hatte einen Bärenhunger, schaufelte alles in sich hinein und spülte es mit Cola herunter. Aber sie wurde nicht satt. Hatte Lust auf etwas Süßeres.
Ich bin krank, sagte sie sich. Ich kann mir solche Ausschweifungen erlauben. Also fuhr sie noch bei Pascal im Drammensveien vorbei und kaufte zwei Stück Sahnetorte mit Marzipanmantel, auf den unter anderem rote und grüne Blumen gemalt waren, die garantiert aus künstlichem Zucker und ungesunden Konservierungsstoffen bestanden. Sie biss genüsslich hinein, leckte sich die Finger ab und dachte, dass das Konditorhandwerk doch eine höchst unterbewertete Kunstform war. Der Geschmack von Rumcreme, Vanille, Schokolade, Mandeln, Marzipan und Erdbeeren explodierte in ihrem Mund, ließ die Kälte verschwinden und verwandelte sie zu einem sinnlichen Prickeln auf der Haut. Danach hatte sie immer noch Lust auf mehr und fragte sich, was gerade mit dem Körper geschah, in dem sie wohnte. Der führte sich normalerweise nicht so auf. Sonst gönnte sie sich an Süßem meistens nur Obst und Joghurt.
Nicht nur der Körper benahm sich anders. Ihr geliebter Micra ging unter der Kälte langsam in die Knie. Das erste Gefahrensignal, das ihr auffiel, als sie die Tür öffnete, war, dass die Innenbeleuchtung schwächer war als sonst. Als sie den Schlüssel im Zündschloss drehte, gab der Anlasser nur einen knatternden Klagelaut von sich. Sie versuchte es noch einmal. Mit dem gleichen Ergebnis. Angespannt
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