Die Komplizin - Roman
und unergründlich. Dann stand sie auf.
»Ich schätze, wir müssen reden.«
»Ihr wollt zur Polizei gehen?«
»Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Wollen ist das falsche Wort. Aber vielleicht wäre es in jeder Hinsicht das Beste – vor allem könnte die Polizei sich dann auf den wahren Mörder konzentrieren. Wir behindern ihre Ermittlungen. Mich verdächtigen sie ohnehin schon. Sie wissen, dass ich sie angelogen habe. Besser, ich sage ihnen, wie es wirklich war, bevor sie es selbst herausfinden. Besser für uns alle, meine ich. Ihr braucht dabei ja gar nicht in Erscheinung zu treten. Ich sage einfach, dass ich die Leiche gefunden und dann weggeschafft habe, weil ich in Panik geraten bin.«
Sonia schüttelte den Kopf.
»Wie willst du ihnen das im Einzelnen erklären? Dass du das ganz allein gemacht hast, glauben sie dir bestimmt nicht.«
»Wir können sagen, dass ich ihr geholfen habe«, meldete Neal sich zu Wort. »Das entspricht ja fast der Wahrheit.«
»Ihr macht euch Sorgen wegen der Lügen, die ihr ihnen erzählt
habt, und plant gleichzeitig jede Menge neue. Das wird nicht funktionieren.«
»Was schlägst du vor, Sonia?«
Sie schwieg eine ganze Weile mit nachdenklich gerunzelter Stirn.
»Nichts«, antwortete sie schließlich.
»Nichts?«
»Ich möchte nicht, dass ihr es der Polizei erzählt. Das wäre bloß eine neue Methode, euch noch weiter in das Schlamassel hineinzureiten. Und mich auch.«
»Es wäre keine neue Methode, sondern einfach die Wahrheit. Wir dürfen ihre Ermittlungen nicht behindern. Jemand hat Hayden getötet, und sie müssen herausfinden, wer.«
»Solange du Neal für den Täter gehalten hast, warst du anderer Meinung.«
»Weil ich davon ausging, dass es irgendeine Art von Unfall war – und dass Neal es für mich getan hatte«, antwortete ich niedergeschlagen.
»Das ist so kompliziert«, entgegnete sie. »Und ich habe Angst.«
Erstaunt starrte ich sie an. Irgendwie war ich der festen Überzeugung gewesen, dass Sonia Angst gar nicht kannte. Sie war mein Fels in der Brandung, auf den ich mich stützte, weil ich davon ausging, dass dieser Fels niemals nachgeben würde.
»Das alles tut mir so leid«, erwiderte ich kläglich. »Jede Nacht wache ich auf mit dem Gefühl, auf meiner Brust liege ein riesiger Stein und hindere mich am Atmen. Ich weiß nicht, ob ich das noch lange aushalte.«
»Natürlich möchte ich die Polizei nicht daran hindern, den wahren Mörder zu finden«, sagte sie, »aber ich möchte auch nicht für euch ins Gefängnis wandern.«
»Das musst du bestimmt nicht.«
»Woher willst du das wissen, Bonnie?«
Neal stand auf und trat an das Fenster, das auf seinen Garten
hinausging. »Lasst uns das Ganze mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten«, sagte er. »Ich habe den Tatort verändert, und anschließend habt ihr beide nicht nur das Beweismaterial manipuliert, sondern es komplett entsorgt. Samt der Leiche.«
»Das ist kein anderer Blickwinkel«, erwiderte Sonia, »sondern lediglich eine erneute Zusammenfassung unserer Situation.«
»Was haben wir gesehen?«, fragte Neal, ihren Einwand ignorierend.
»Wir haben Hayden gesehen.« Dass ich ihn immer noch sah, behielt ich lieber für mich. Sein Geist ließ mir keine Ruhe. Wenn ich nachts aufwachte, stand er am Fußende meines Betts und blickte auf mich herab.
»Wir haben nicht das Gleiche gesehen.«
»Ich verstehe nicht, wie du das meinst.«
»Was ihr gesehen habt, war nicht das, was ich gesehen habe. Ich habe alles durcheinandergebracht und dafür gesorgt, dass es anders aussah. Ihr habt nicht den echten Tatort zu Gesicht bekommen, sondern einen künstlich geschaffenen.«
»Das stimmt.«
»Und warum ist das so wichtig?«, fragte Sonia.
»Keine Ahnung, aber mir erscheint es durchaus wichtig. Irgendwie kommt es mir vor, als hätten wir uns alle die ganze Zeit das falsche Bild angesehen.«
»Es gibt kein Bild mehr«, entgegnete ich. »Dafür haben Sonia und ich gesorgt.«
Davor
Guy erschien mal wieder nicht zur Probe. Als ich Joakim fragte, wo sein Vater denn bleibe, murmelte er irgendetwas Unverständliches und wich dabei verlegen meinem Blick aus.
Amos war gar nicht so schlecht. Ich merkte, dass er geübt hatte. Zumindest machte er nicht mehr ganz so viele Fehler und setzte auch nicht mehr so oft falsch ein. Trotzdem spielte er sein Instrument, als würde er ein Formular ausfüllen – langsam und angestrengt. Neal schien an diesem Tag zwei linke Hände zu haben, er spielte richtig
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