Die Komplizin - Roman
gefangen, hoffte ich einen Moment, jemand anderer würde aufmachen, vielleicht meine Mutter oder Amos, doch dann zog ich mir die Decke vom Gesicht und erinnerte mich daran, dass meine Mutter über dreihundert Kilometer entfernt war und Amos nicht mehr bei mir wohnte. Obwohl mir das Licht in den Augen wehtat, kämpfte ich mich aus dem Bett und ging zur Tür. Draußen standen zwei uniformierte Beamte.
»Muss das unbedingt jetzt sein?«, fragte ich.
Joy Wallis kannte ich inzwischen schon recht gut, doch den anderen Detective hatte ich noch nie gesehen. Sie stellte ihn mir als Detective Chief Inspector James Brook vor.
»Nennen Sie mich Jim«, sagte er, während er seine Jacke auszog und über eine Stuhllehne hängte. Er war um die vierzig und trug sein Haar zu kurzen grauen Stoppeln geschoren. Er bedachte mich mit einem Lächeln, das mir wohl sagen
sollte, dass er auf meiner Seite stand und wir das mit vereinten Kräften schon durchstehen würden. Er vermittelte mir sofort ein Gefühl von Sicherheit. Joy Wallis nahm ein Stück von uns entfernt Platz. Offenbar führte Brook heute das Kommando. Ich vermutete, dass er einer von jenen Detectives war, die sich darauf verstanden, das Vertrauen der Leute zu gewinnen und sie zum Reden zu bringen. Er erinnerte mich an die Typen am College, denen man besonderen Erfolg bei den Frauen nachsagte. In gewisser Weise war das ein Selbstläufer: Man wollte fast nur mit ihnen schlafen, um herauszufinden, worin ihr Geheimnis bestand. Eigentlich ärgerte mich so etwas, und es ärgerte mich auch jetzt. Ich wünschte nur, ich wäre nicht so müde gewesen und mein Kopf nicht so benebelt, dass ich kaum richtig denken konnte.
»Geht es Ihnen nicht gut?«, fragte Joy Wallis.
»Ich hatte keine so tolle Nacht.«
»Gibt es etwas, das Sie uns erzählen möchten?«
»Was sollte das bringen?«, antwortete ich. Einen Moment herrschte Schweigen, dann fügte ich rasch hinzu: »Entschuldigen Sie. Das war nicht so gemeint. Ich wollte damit nur sagen, dass es nichts zu erzählen gibt.«
Brook lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.
»Mir ist klar, dass Sie sich in einer schwierigen Lage befinden«, bemerkte er.
Selbst in meinem völlig benebelten Zustand begriff ich, was er im Schilde führte: Er versuchte mich in ein Gespräch zu verwickeln und hoffte, dass ich mich dabei zu unbedachten Äußerungen hinreißen ließ oder Themen anschnitt, die ich gar nicht anschneiden wollte. Da es jedoch kein einziges Thema gab, über das ich mich mit ihm unterhalten wollte, und ich mich außerdem in diesem völlig verwirrten Zustand befand, blieb mir definitiv nichts anderes übrig, als mich einfach dumm zu stellen. Was mir nicht allzu schwerfiel. Brook begann auf die übliche Art, indem er zu bedenken gab, dass ich
mit einem Anwalt vielleicht besser beraten wäre, worauf ich lediglich erwiderte, dass ich keinen wolle. Er wirkte ein wenig enttäuscht, aber auch leicht befremdet. War mein Verhalten womöglich ein Hinweis darauf, dass ich unschuldig war? Oder nur dumm? Oder beides? Schließlich zuckte er mit den Achseln, als hätte er gerade zu seinem Bedauern begriffen, dass er für mich nichts weiter tun konnte.
»Ich weiß, was Sie gerade durchmachen«, stellte er fest. »Es ist nicht leicht, in einen solchen Fall verwickelt zu sein und mit Leuten wie uns sprechen zu müssen. Die ganzen Umstände, und dann auch noch die Medien…«
»Ich bin nicht darin verwickelt«, fiel ich ihm ins Wort.
Brook starrte mich verblüfft an.
»Natürlich sind Sie das«, widersprach er, »immerhin hatten Sie eine Affäre mit dem Opfer. Oder dachten Sie, dass ich etwas anderes meine?«
»Ich hatte das Gefühl, dass Sie mir irgendetwas unterstellen«, entgegnete ich.
Nun setzte er eine noch überraschtere Miene auf, als stünde er auf einer Bühne und müsste für die Zuschauer ganz hinten den Verblüfften mimen.
»Was sollte ich Ihnen denn unterstellen?«
Vermutlich versuchte er mich gerade dazu zu bringen, ihm seine Arbeit abzunehmen, indem ich von mir aus damit herausrückte, welches Verbrechen er mir meiner Meinung nach unterstellte. Ich murmelte nur irgendetwas Unverständliches vor mich hin. Dabei konnte ich dem Drang, die Wahrheit aus mir heraussprudeln zu lassen und endlich wieder Leere und Frieden in mir zu verspüren, kaum noch widerstehen. Nur der Gedanke an Sonia und Neal brachte mich dazu, weiter den Mund zu halten.
»Ich habe die Akte gelesen«, informierte mich Brook, »und mir die Zeugenaussagen
Weitere Kostenlose Bücher