Die Komplizin - Roman
sie stützen. Einen Moment lang hatte ich das Gefühl, als läge seine Hand auf mir statt auf ihr, und eine Welle der Begierde erfasste mich. Genau aus diesem Grund war ich gekommen. Selbst wenn ich nicht an Hayden dachte oder den Gedanken an ihn ganz bewusst wegschob, war ich mir seiner bewusst. Mein Körper erinnerte sich ununterbrochen an ihn. Immer wieder sah ich vor meinem geistigen Auge Momentaufnahmen aus der Nacht aufblitzen, die ich mit ihm verbracht hatte. Egal, ob ich gerade ein Sandwich aß oder an einer Bushaltestelle stand, plötzlich spürte ich wieder seine Lippen an meiner Schulter oder seine Hände auf meiner Haut. Ausgerechnet in dem Moment, als ich mir das endlich eingestand, traf eine weitere Kurznachricht ein. Natürlich von Neal. Er schrieb nur: »Ich denke an dich.« Er dachte an mich, während ich krampfhaft versuchte, nicht an Hayden zu denken, der seinerseits – tja, was wohl? Er war für mich ein Buch mit sieben Siegeln.
Die drei Männer begaben sich ohne jede Ankündigung auf die Bühne. Nat trat beiseite und packte statt der Bassgitarre, die ich erwartet hatte, einen ramponierten alten Kontrabass aus. Während sie die Stühle zurechtrückten, die Höhe der Mikrofone verstellten und sich ganz allgemein für ihren Auftritt bereit machten, vollzog sich an ihnen eine spürbare Veränderung. Am Tisch waren sie nervös und angespannt gewesen, fast schon bissig, doch auf der Bühne strahlten sie plötzlich eine ungezwungene Lässigkeit aus. Alle drei wirkten auf eine Art miteinander vertraut, wie es nur Menschen können, die schon oft zusammen Musik gemacht haben. Nachdem sie kurz ihre Instrumente gestimmt hatten, nickte Hayden, woraufhin sie ohne weitere Ankündigung loslegten.
Auf diesen Moment hatte ich gewartet. Ich kannte Hayden. Ich war sogar schon mit ihm »intim gewesen«, wie man so schön sagte. Ich hatte nackt neben ihm gelegen und wusste,
wie er roch und wie er schmeckte. Er war in mir gewesen, und ich kannte das Stöhnen, das er ausstieß, wenn er kam. Wir hatten uns ein paarmal unterhalten. Im Rahmen unserer Proben hatte ich ihn auch schon spielen gehört. Trotzdem hatte ich das Gefühl, ihn noch überhaupt nicht zu kennen. Selbst bei unseren Bandproben schien er als Musiker nicht in seinem Element zu sein, sondern kam mir immer vor wie ein großer Seevogel, der sich mit seinen riesigen Schwingen aufs Land verirrt hatte. Vermutlich konnte er sich gegenüber Leuten wie Amos und Neal einfach nicht anders geben. Ich aber wünschte mir, ihn in der Luft zu sehen, im freien Flug.
Die Veränderung war sofort spürbar. Obwohl die drei mit einem Countrysong begannen, den ich nicht kannte, wusste ich schon nach den ersten paar Takten, dass ich in guten Händen war. Hin und wieder verständigten sie sich mit einem Blick oder einem Nicken, aber die meiste Zeit vertrauten sie sich einfach wie Akrobaten, die sicher sein konnten, dass ihr Partner sie stets zuverlässig auffing. Nat war am Bass richtig gut. Er zupfte fröhlich vor sich hin, hatte beim Spielen sichtlich Spaß und grinste immer mal wieder zu Ralph hinüber. Gemeinsam bildeten die beiden eindeutig den Background für Hayden. Er wirkte als Frontmann ein wenig in seiner eigenen Welt gefangen. Die meiste Zeit hatte er die Augen halb geschlossen, wusste aber dennoch, dass die anderen hinter ihm standen und die Lücken füllten. Nachdem der erste Song zu Ende war, brach lauter Applaus los. Als ein paar Leute vor Begeisterung sogar zu johlen begannen, verzog sich Haydens Gesicht zu einem Lächeln. Einen Moment wirkte er sogar ein wenig schüchtern. Verstohlen spähte ich zum Wildledermann hinüber, der erneut mit seinem Blackberry hantierte. Als ich mich wieder der Bühne zuwandte, begegnete mein Blick dem von Hayden. Er schenkte mir ein kleines Lächeln, das auf mich eine sehr seltsame Wirkung hatte: Schlagartig fühlte ich mich wie ein aufgeregtes junges Mädchen, dem gerade der
Leadsänger einer Band zulächelt, als hätte er nur Augen für sie.
Während die Band den zweiten Song anstimmte, verspürte ich ein eigenartiges, undefinierbares Verlangen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis mir klar wurde, dass ich mich nach einer Zigarette sehnte. Es fühlte sich irgendwie nicht richtig an, in einer Bar zu sitzen und Bier zu trinken, ohne einen Glimmstengel zwischen den Fingern zu halten.
Sie spielten eine Nummer nach der anderen. Die wenigen kurzen Pausen füllten sie mit scherzhaften Bemerkungen, die nach Insiderwitzen klangen und
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