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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Stolz? Was war das Yang denn schon ohne das Yin! War das Yin nicht ebenso viel wert? Für das Yang gab es ohne das weibliche Prinzip kein Gleichgewicht, keine Harmonie. Erst das Wechselspiel zwischen Yang und Yin machte die Veränderung möglich.
    Und Yuan Shikai, der Mann, der sie alle nach Belieben lenkte, auch Liu Laoye – war der Aufbau eines starken Chinas wirklich sein einziges Interesse? Oder ging es ihm mehr um die eigene Macht? Sie hatte damals in Beijing immer wieder Gerüchte gehört, dass der Generalgouverneur den Sohn des Himmels während der Wuxu-Reform an seine Gegner verraten haben sollte.
    Die Amah schaute sie unglücklich an, hoffte wohl auf Verständnis. Sie konnte die Anwesenheit der Frau nicht ertragen. «Geh! Ich will allein sein. Und komme nicht eher wieder, bis ich dich rufen lasse!»
    Yu Ting sah in diese Augen, in dieses Gesicht. Diese verschlossene Miene, dieser eisige Tonfall, das konnte doch nicht ihre Mulan sein! Sie spürte die Angst wie einen Dolch in der Brust. Die Furcht, ihre Magnolienblüte für immer zu verlieren. «Mulan, bitte…»
    «Geh! Verschwinde! Geh mir aus den Augen! Mir wird übel, wenn ich dich sehe.»
    So hatte sie Mulan noch niemals erlebt. Dieser beherrschte und deshalb so furchtbare Zorn verwandelte ihre sanfte Magnolienblüte wirklich in eine Kriegerin. Die Alte wusste, Mulan war in diesem Moment zu allem fähig. Sie sah es in ihren Augen. Die Amah senkte den Kopf und schlurfte davon.
    Mulan ging wie eine Schlafwandlerin in ihr Zimmer und sank auf den Boden. Dort saß sie lange regungslos, ihren kleinen Sohn im Arm. Wenn er quengelte, gab sie ihm die Brust und streichelte ihn abwesend. So erfuhr sie nicht, warum der Mann, der sie überfallen hatte, gekommen war: Der ältere Sohn des Herrn hatte einen schweren Unfall gehabt. Mulan hörte auch nicht, wie Liu Guangsan eiligst aufbrach, um seinen Sohn im Lazarett zu besuchen. Sie versuchte verzweifelt, die Kontrolle über ihre Gefühle und ihren Verstand zurückzuerlangen.
    Schließlich stand sie auf und ging zu einem kleinen Kästchen mit Elfenbein-Intarsien. Darin lagen zwei in Seide gewickelte, kleine Päckchen. Sie öffnete beide und legte sie vor sich hin. Sie waren ihr größter Schatz, ihr Ausweg, wenn sie sich keinen anderen Rat mehr wusste. Ihre Mutter hatte sie ihr einst mitgegeben. «Vielleicht kommt die Zeit, in der du schutzlos und ohne Hoffnung auf Rettung dem Bösen ausgeliefert bist, meine Tochter. Ich gebe dir dies, damit du dem Bösen entkommen kannst.»
     
    Die Sänftenträger rannten sich die Lunge aus dem Leib, um den Maiban zu seinem Sohn zu bringen. Guimei klagte laut und rang die Hände. Mit ihr jammerten die Dienstboten. Nun warteten alle auf die Rückkehr des Herrn Liu. Youren lag im Lazarett der Deutschen. Diese verstanden viel davon, Schlechtes aus dem Körper zu schneiden. Das hatte sich inzwischen herumgesprochen. Früher wäre das undenkbar gewesen. Kein chinesischer Arzt hätte so etwas gemacht. Außerdem arbeitete in der Nacht zum Neuen Jahr kein chinesischer Doktor. Zumindest nicht ohne längere Überredung. Deswegen hatten sie den Schwerverletzten gleich zu den Langnasen gebracht.
    Bei inneren Erkrankungen bevorzugten die Menschen aber die chinesische Medizin. Bei der Typhusepidemie hatten die Deutschen die Einheimischen nach westlichen Methoden behandelt. Sie waren wie die Fliegen gestorben. Die chinesischen Ärzte hatten mit ihren Heilmitteln jedoch einige Erfolge zu verzeichnen gehabt.
     
    Mulan hatte ihre Umwelt völlig ausgeblendet. Der Lärm und das Jammern der Menschen im Hof drangen nicht bis in ihr Bewusstsein vor. Sie betrachtete den Inhalt der Päckchen. In das schwarze Tuch hatte Song Taitai arsenikhaltige Gesteinsbrösel getan. Sie wurden auf den Märkten angeboten. Die Bauern benutzten das Mittel bei Aussaaten und Anpflanzungen zur Abwehr von Ungeziefer. Und so manche verzweifelte junge Frau hatte es schon genommen, um sich vor den Bosheiten der Mutter ihres Gatten zu retten, die mit der Heirat die absolute Macht über sie bekam. Der Selbstmord war oft der letzte Ausweg einer drangsalierten Schwiegertochter, die Androhung gleichzeitig ihre stärkste Waffe. Denn die Familie, ja die ganze Sippe der Frau, machte für deren Tod unweigerlich Sühne-Entschädigungsansprüche geltend. Selbst wohlhabende Familien waren dadurch zugrunde gerichtet worden.
    In dem zweiten Päckchen, dem blauen, lagen die Hölzer, die von den Fremden benutzt wurden, um Feuer zu machen. Dem

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