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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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die sie überfallen hatten. In derselben Sekunde begriff sie, dass Liu Guangsan etwas mit dem Überfall zu tun gehabt haben musste.
    Sie zitterte am ganzen Leib. Wenn sie jetzt nicht in ihre Gemächer ging, dann würde sie in sein Arbeitszimmer stürmen und ihm die Augen auskratzen. Auch in den Augen der Amah stand Fassungslosigkeit. Sie hatte den Mann ebenfalls wiedererkannt. Mulan zog A-Ting mit sich. Sie musste hier fort, ihr war so übel, dass sie kaum noch atmen konnte.
    «Weißt du, wer das war?»
    Die alte Frau nickte. «Ja, mein Herz. Der Mann hätte niemals hierherkommen dürfen. Das war der Anführer der Banditen, die uns überfallen haben. Was tut er hier? Es muss etwas Schlimmes geschehen sein.» Sie sagte das ganz ruhig, so als wäre das nichts Besonderes.
    A-Ting hatte es die ganze Zeit gewusst! Auch sie! Ihr Magen revoltierte, sie hätte sich beinahe übergeben. Konnte sie denn niemandem mehr vertrauen? Sie fühlte sich so verloren wie noch niemals in ihrem Leben. Damals, als der Bruder hingerichtet worden war, hatte sie wenigstens die Unterstützung ihrer Kinderfrau gehabt. Doch selbst diese schien sich nun gegen sie zu wenden.
    «Seit wann weißt du es?», fragte sie tonlos. Ihre Gefühle waren wie betäubt. Ihre Seele hatte schon zu viele Narben, weigerte sich, all das aufzunehmen. So ähnlich war es, wenn man sich schnitt. Zunächst schmerzte die Wunde nicht. Das kam später. Vor Mulan tat sich ein gähnendes schwarzes Loch auf. Sie griff instinktiv nach ihrem Sohn. Wenn sie sich nicht an Tongren festhielt, dann würde ihr Verstand in diesen Abgrund stürzen, in dieses Reich der Nacht ohne Wiederkehr.
    Trotz der Dunkelheit sah Yu Ting, dass alle Farbe aus Mulans Gesicht gewichen war. Sie musste sich furchtbar fühlen. Aija, sie war doch ihr Kind! Wie sollte sie ihr jemals Schaden zufügen können, sie liebte sie mehr als ihr eigenes Leben. Sie musste ihr begreiflich machen, warum sie geschwiegen hatte.
    «Bitte, Mulan, verzeih mir. Ich habe nichts gesagt, um dich zu schützen. Ich glaubte, du würdest die Erkenntnis nicht verkraften, dass Liu Laoye diesen Überfall angeordnet hat. Doch glaube mir, der Herr hatte keine andere Wahl. Yuan Shikai hat ihn dazu gezwungen, ihm befohlen, dich als Spionin bei den Deutschen einzusetzen. Was hätte er denn tun sollen? Der Herr Liu ahnte, dass du diese Aufgabe nicht freiwillig übernommen hättest. Da hat er sich eben diesen Weg ausgedacht. Es war eigentlich vorgesehen, dass dieser Fauth, der Vertraute des deutschen Gouverneurs, dich rettet. So hättet ihr euch kennenlernen können, ohne dass der kleine Mann Verdacht schöpft, die Begegnung sei arrangiert. Liu wusste, dass Fauth ein Faible für Chinesinnen mit gebundenen Füßen hat.
    Doch dann kam ihm der Blonde zuvor. Liu passte den Plan den Gegebenheiten an. Der Soldat kommt durch seine Musik herum, beobachtet einiges, hört viel. Außerdem ist er fast immer mit Fauth zusammen und kann auch auf diesem Wege Wichtiges erfahren. Sag, was hätte ich tun sollen? , hat der Herr zu mir gesagt. Und wenn du ehrlich zu dir bist, war es vielleicht auch besser so.»
    «Der weise Laozi hat gesagt: Man muss sich auf etwas verlassen können, von dem man nicht verlassen wird.» Mulans ganze Verzweiflung lag in diesem Satz.
    Die alte Amme bekam Angst um sie. «Ich weiß es wirklich noch nicht lange, es ist erst etwa drei Wochen her. Ich hatte einige Dinge zu besorgen, da sah ich ihn in einer Hausecke mit dem Leibdiener von Liu Laoye sprechen. Die beiden hatten eine heftige Auseinandersetzung, sie bemerkten mich nicht. Ich habe die Angelegenheit natürlich sofort dem Herrn gemeldet. Du musst dich nicht fürchten, meine Kleine. Der Mann ist eigentlich ein braver Familienvater und tut nur seine Pflicht für die gemeinsame Sache. Er arbeitet als Kuli beim Bau des Großen Hafens für die Deutschen.» Die Alte brach ab, als sie die kalte Wut und den Schmerz in Mulans Augen sah.
    Sie war also wie eine Marionette benutzt worden. Von Yuan Shikai. Von Liu. Früher hätte sie sich vielleicht damit abgefunden. Gehorsam war die Pflicht einer Frau. Doch Meili hatte ihr bewusst gemacht, dass auch Frauen etwas wert waren. Dass sie im Kampf um ein starkes China gebraucht wurden. Was hieß das nun? Durften Frauen jetzt selbst denken, selbst entscheiden, oder nicht? Blieben sie für immer nur eine Sache, die man nach Belieben benutzte und dann wegwarf? Hatte sie denn keine Ehre aus eigenem Recht, keinen

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