Die Konkubine
kommen, an der Feier der Familie teilzunehmen.
Sie ging mit ihrer Laterne nach draußen in den Hof, begleitet von Yu Ting, die den kleinen Tongren trug. Dort hatten sich bereits fast alle versammelt, die zum großen Haushalt des Maiban Liu gehörten. Mulan betrachtete die Menschen, deren Wohl vom Ansehen und Erfolg ihres Herrn abhing. Jetzt kam auch Liu Guangsan aus seinen Gemächern. Er trug ebenfalls sein Festtagsgewand. Er wandte sich an Liu Taitai und sagte einige Worte zu ihr. Guimei schüttelte den Kopf. Sie hatte einen guten Grund, unruhig zu sein. Youren war noch immer nicht aufgetaucht. Er hätte längst hier sein müssen.
Mulan nahm A-Ting ihren Tongren wieder ab und fragte sich, wie es wohl ihrem kleinen Jungen einmal ergehen würde. Er war zwar nicht der Erbe, aber sie war sich sicher, Liu Guangsan würde gut für ihn sorgen. Er liebte seinen zweiten Sohn. Vielleicht gerade weil er bei der Geburt so schwach gewesen war. «Tongren ist ein Kämpfer wie du, Mulan», pflegte er zu sagen. In solchen Augenblicken spürte sie fast so etwas wie Glück.
Sie blickte sich um. Es war gut. An allen Türen, an jeder Öffnung, überhaupt an allen Stellen, an denen es möglich war, hatten die Bediensteten rote Tücher befestigt oder sie mit spitzenartig ausgeschnittenem Buntpapier geschmückt. Sie sah in den Himmel. Es war ein stiller, klarer Tag. Auch das deutete sie als gutes Zeichen für ein harmonisches Jahr. Das Knattern und die Lichtblitze des Feuerwerks würden ein Übriges tun, um die bösen Geister zu schrecken und zu bannen. Am nächsten Morgen, nach einer gemeinsam durchfeierten Nacht, würden die Menschen des Hauses Liu wie alle anderen auf sämtliche Türen lange rote Papierstreifen kleben, vor allem auf die große Eingangstüre zum Hof. Auf ihnen standen glückverheißende Sprüche, zumeist Zitate aus den heiligen Büchern.
Ja, es war gut so. Für einige Tage würde sie mit ihrer Familie wieder zusammen sein, mit den Menschen aus ihrem neuen Leben ausgelassen feiern. Und dann konnte sie die Toten vielleicht besser loslassen, bevor am 15. Tag des ersten Monats im Neuen Jahr der große Wechsel mit dem Laternenfest endgültig abgeschlossen wurde.
Ihre Gedanken wanderten zurück zu den Laternenfesten ihrer Kindheit.
In der Hauptstadt des Reiches hatte der Kaiser sein Opfer am runden Altar des Himmels zelebriert, das Yang gestärkt. Der Himmelstempel lag im Osten der großen Nord-Süd-Straße, die am Kaiserpalast begann, an der Ehrenseite. Der viereckige Altar der Erde, Symbol für das weibliche Prinzip Yin, stand im Norden der Mandschu-Stadt.
Sie sah sich mit den Eltern und dem Bruder an den Gräbern der Ahnen. Berge und Täler schimmerten im Schein des Vollmondes. Laternenträger eilten hin und her, bis auf jedem Grab eine kleine Flamme flackerte. Wohin sie schaute, von welcher Anhöhe man auch über die Ebene blickte, das Meer der kleinen Lichter reichte bis zum Horizont. Es gab kein Trauern, kein Klagen über die finstere Macht des Todes. Die Menschen fühlten Freude – und ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit. Sie alle waren eins, die Ahnen würden mit und durch sie fortbestehen, würden von ihren Nachfahren immer wieder ins Leben eingeladen werden. Jahr für Jahr. Das galt auch für sie, wenn sie einmal aus der Welt gegangen war.
Ja, es war gut so. Der Herr Liu hatte sie aufgenommen, war nachsichtig mit ihr gewesen. Vor allem aber hatte er ihr ihren kleinen Tongren geschenkt. Ein Gefühl der Dankbarkeit überflutete sie.
Jetzt kam Liu Guangsan auf sie zu. Sie lächelte ihm scheu entgegen. Da hämmerte es an das große Hoftor. Liu gab seinem Leibdiener ein Zeichen. Er war sichtlich aufgebracht über die Störung. Vom Tor her drangen aufgeregte Stimmen in den Hof. Schließlich stürmte ein Mann herein, der zeternde Leibdiener hinterher. Er hatte ihn nicht aufhalten können. Liu Taitai beschimpfte ihn lauthals. Sie machte sich nicht die Mühe, ihren Ärger zu verbergen, denn der Eindringling war seiner Kleidung nach zu urteilen ein Bauer. Liu runzelte die Stirn. Der Fremde scherte sich nicht darum. Er strebte auf den Herrn des Hauses zu. Es musste etwas sehr Wichtiges sein. Liu seufzte und gab dem Mann ein Zeichen, ihm zu folgen. Die Männer gingen in sein Arbeitszimmer.
Mulan war irritiert. Sie war sich sicher, dass sie diesen Mann schon einmal gesehen hatte. Sie verband mit ihm ein starkes Gefühl der Bedrohung. Als es ihr einfiel, hätte sie fast aufgeschrien. Das war einer der Banditen,
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