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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Fatamorgana, wagte es nicht, seinen Augen zu trauen, aus Angst, er könne enttäuscht werden. Er gab dem Rikschafahrer den Befehl anzuhalten.
    Mulan näherte sich dem Gefährt. In ihren Augen standen Tränen. Er wollte aussteigen, wollte sie in die Arme nehmen, sie nie wieder loslassen. Er hatte sich schon aufgerichtet, kämpfte mit seinem eingegipsten Bein, da hielt sie ihn mit einer winzigen Geste zurück.
    «Nicht, Kangle. Bleib sitzen. Hier, ich habe etwas für dich. Ich werde dich niemals vergessen. Möge der Himmel dich beschützen.»
    Dann wandte sie sich ab und ging davon, gefolgt von ihrer Amah. «Lasst sie in Ruhe, Herr», raunte Yu Ting ihm noch zu. Er blickte den beiden Frauen hinterher, fassungslos. Sollte das alles gewesen sein?
    Der Rikschafahrer schaute zu seinem Gast. Der saß wie erstarrt, in seiner Hand ein Päckchen in rotem, glückbringendem Papier. Als kein Zeichen kam, machte er sich wieder auf den Weg zum Hafen. Das Schiff wartete.
     
    Einige Stunden später stand Konrad Gabriel an der Reling der Crefeld. Wie an dem Tag, an dem er die chinesische Küste zum ersten Mal gesehen hatte. Jetzt jedoch auf dem Achterdeck und auf eine Krücke gestützt. Er starrte auf die Silhouette von Tsingtau, die immer kleiner, immer durchscheinender wurde und schließlich ganz verschwand. Das Meer war ruhig, es glitzerte in der Sonne. Er setzte sich auf den Stuhl, den ihm ein Kamerad gebracht hatte. Dann wickelte er vorsichtig das rote Papier ab. Ein Kästchen aus Teakholz mit Intarsien aus Elfenbein kam zum Vorschein, Ornamente, wie es sie nur in China gab. Er öffnete den Deckel. Auf einem rotseidenen Polster ruhte eine blauweiße Teeschale. Ganz vorsichtig hob er sie heraus. Sie musste sehr alt sein. Das Porzellan war hauchzart. Wie Mulan. So zart, dass das Licht der Sonne hindurchschien. Es verlieh den Wolken, den Bergen, den Bäumen ein atmendes Wesen, eine pulsierende Aura.
    Unter der Schale fand er einen Brief mit chinesischen Schriftzeichen. Er brauchte lange, bis er ihn entziffert hatte, manche der Zeichen konnte er erst in der Heimat entschlüsseln.
    «In einer Volkssage heißt es: Der Hirte auf der Erde und die Weberin im Himmel heirateten unerlaubterweise, und ein Soldat des Himmels brachte die Weberin ins himmlische Reich zurück. Der Hirte lief ihr nach, doch die Himmelsmutter webte die Milchstraße. Die Liebe des Hirten rührte die Raben. Und diese ermöglichten es ihnen, sich jedes Jahr am siebten Tag des siebten Monats zu treffen.
    Dies ist eine Teeschale aus der Zeit der blauweißen Periode. So kostbar wie du meinem Herzen bist. Song Mulan.»
    Er schaute wieder hinaus aufs Meer, die warme, sonnendurchschienene Schale in der Hand. Sie gab ihm das Gefühl, ihre Haut zu berühren. Sie würde ihn für immer mit ihr verbinden.
    Tang hatte von einem Sturm gesprochen, der sich über China zusammenbraute. Er hoffte, dass Mulan ihn unbeschadet überstehen und dass der Wind der Veränderung sie doch eines Tages über das Meer treiben würde. Zu ihm. Am siebten Tag des siebten Monats.

Epilog
    SIE HIELT SICH DAS KLEID vor den Körper und betrachtete sich im Spiegel. Nein, das wäre vielleicht doch übertrieben. Andererseits wollte sie so gerne gut aussehen. Sie sah den Fältchenkranz um ihre Augen und beschloss, dass es eigentlich egal war. Andererseits war es auch wieder nicht egal.
    Was sollte sie anziehen? Tang Zhirui hatte sie zum Abschied zu sich eingeladen. Sie würde seine Familie kennenlernen. Sie war so aufregt wie ein junges Mädchen, das den Eltern ihres künftigen Mannes vorgestellt wird. Doch sie war kein junges Mädchen, sondern eine Frau mit zwei erwachsenen Kindern. Sie wusste, Tang hatte nach dem Tod seiner ersten Frau zum zweiten Mal geheiratet. Die beiden Söhne waren zehn und elf Jahre alt. Das hatte er ihr erzählt.
    Sie schaute hinüber zum Schreibtisch. Neben dem Laptop standen wie so oft in den letzten Wochen ein Becher Fertignudeln und eine Dose Tsingtao Beer für die abendlichen Schreibstunden, in denen sie sich bemühte, die Eindrücke in China in Buchstaben zu bannen. Damit sie nichts vergaß, auch nicht die kleinste Einzelheit.
    Das erste Freibier aus der berühmten Germania-Brauerei von Tsingtau war im Dezember 1904 geflossen. Ihr Großvater hatte es also nicht mehr miterlebt. Inzwischen wurde es aus Qingdao in alle Welt exportiert, man bekam es in jedem Chinarestaurant. Besonders die Amerikaner liebten es. Allerdings kam das Wasser schon lange nicht mehr aus den Quellen des

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