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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Laoshan. Natürlich hatte sie auch an einer der Brauereiführungen teilgenommen, die bei den Touristen so beliebt waren.
    Sie seufzte und wandte sich wieder dem Haufen von Kleidungsstücken zu, die auf dem zweiten Bett im Zimmer schon aufgestapelt darauf warteten, in den riesigen Koffer zu wandern. Sie wusste genau, sie konnte ihn wahrscheinlich kaum tragen. Glücklicherweise hatte er Rollen. Doch am Flughafen würde sie eine saftige Nachzahlung wegen des Übergepäcks hinblättern müssen.
    Auf dem Schreibtisch stapelten sich die Bücher, die sie in diesen Wochen auf der Suche nach einer längst vergangenen Zeit durchgearbeitet hatte. Auf einem Bücherturm stand die Teeschale. Sie war nicht gestohlen worden, nicht zerbrochen. Früher hatte einmal ein Teakholzkästchen dazu gehört. Das stand seit Jahrzehnten im Schrank einer Kusine. Darin wurde ein kleines Fotoalbum aufbewahrt. Die Bilder zeigten immer wieder einen jungen blonden Mann mit einem Kindergesicht. Sie wickelte die Schale in den schützenden Seidenschal und verstaute sie vorsichtig in ihrer Handtasche.
    Am Ende entschied sie sich dafür, etwas Unspektakuläres anzuziehen – wie meistens. Jeans, Pulli und Stiefel. Stiefel, über Jeans oder Leggins getragen, waren in Qingdao in diesem Winter ohnehin in. Es gab hier tolle Stiefel in den Schuhgeschäften. Manche sahen aus, als kämen sie aus Italien oder Frankreich.
    Der Taxifahrer brauchte drei Anläufe und ein Handygespräch mit Tang Zhirui, bis er die Adresse endlich gefunden hatte. Das war nicht weiter verwunderlich. Die kleine, steile Seitenstraße, die auf den Berg und zur alten Wetterstation hinaufführte, ähnelte eher einem Gehweg als einer Straße. Schon die Deutschen hatten dort oben eine Wetterstation betrieben, das wusste sie aus ihren Recherchen. Auch bei der Olympiade der Segler 2008 in Qingdao würden von dort aus die Vorhersagen an die Starter unten im neuen Olympiahafen im Osten der Stadt gehen.
    Tang Zhiruis Frau Dandan war eine Schönheit. Ihre Familie stammte aus Shanghai, sie war Lehrerin. Die beiden Söhne reichten der Besucherin artig die Hand, die kleinen Kindergesichter waren ernst beim Anblick der fremden Frau aus dem fernen Land. Sie fühlten sich nicht so recht wohl in ihrer Haut, vermutete sie. Tang war stolz auf seine Familie, das konnte sie ihm ansehen.
    Dandan strahlte, als sie ein Kompliment über die beiden Jungs machte. Dann wurde sie erst einmal durchs Haus geführt. Von außen sah das Gebäude eher unscheinbar aus. Doch der Blick über die Stadt und aufs Meer, den man von den oberen Stockwerken aus hatte, war spektakulär. Die Wohnung erschien ihr für hiesige Verhältnisse recht geräumig.
    Vor dem Essen wurde sie noch dem wichtigsten Mann der Familie vorgestellt: Tang Shuxun, der Vater von Zhirui, war 80 Jahre alt – und ein Mann zum Verlieben. Er hatte die Gabe, glücklich zu sein, das sah sie sofort. «Das Leben ist wunderbar», erklärte er mit einem verschmitzten Lächeln mehrmals an diesem Abend. Er fuhr viel Rad, machte Sport und war überhaupt sehr aktiv, wie er ihr strahlend erzählte. Seine Frau war schon relativ früh verstorben, er hatte nicht wieder geheiratet. Nur als das Gespräch auf die Kulturrevolution kam, verschloss sich sein Gesicht. Darüber sprach er nicht, ebenso wenig wie andere ältere Menschen in Qingdao. Die Jüngeren konnten hingegen wenig von der Geschichte ihres Landes vor Mao erzählen. Sie wussten kaum etwas.
    Der alte Herr Tang war also ein Mensch, der gerne lebte und gerne aß, was man seiner Figur aber keineswegs ansah. Doch ganz hinten in seinem Blick lag ein Ausdruck, der ihr schnell klarmachte, dass er auch ein Mann war, der nicht mit sich spaßen ließ. Dandan, die Enkel und vor allem sein Sohn Zhirui behandelten ihn mit außerordentlichem Respekt. Und er wiederum war äußerst galant der Fremden gegenüber. Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte vermutet, dass er in Europa aufgewachsen war. Tang Shuxun hatte die Manieren eines vollendeten Gentlemans aus alter deutscher Schule.
    Er sprach gern über die Deutschen, über ihre Zeit in Qingdao. Anfangs dachte sie noch, er sei einfach höflich. Dann begriff sie, dass er es ernst meinte. Er erzählte von seinem Großvater, Tang Huimin, der Lehrer an der chinesisch-deutschen Schule von Richard Wilhelm gewesen war, später Schulrektor. Als kleiner Junge hatte er den berühmten Missionar und Chinakenner Wilhelm sogar kennengelernt.
    «Meine Großmutter hieß Song Mulan»,

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