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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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Rosa Jäger kennengelernt. Das muss so um 1912 herum gewesen sein. Sie war die Tochter von Wilhelm Jäger, dem Wirt des Peterhof am Stuttgarter Charlottenplatz, einer der Stammkneipen meines Großvaters, und sollte meine Großmutter werden.»
    Sie schmunzelte in Erinnerung an die Zeilen, die sie gelesen hatte. «Mein Urgroßvater wurde damals auch Bier-Jäger genannt, weil er außerdem Generalvertreter einer Stuttgarter Brauerei war. Der Familienüberlieferung nach soll er seinem Brötchengeber durch seine Beharrlichkeit zur Anerkennung als Hoflieferant verholfen haben. Rosa stand im Peterhof hinter dem Buffet.
    Naja, das Liebeswerben meines Großvaters um meine Großmutter beinhaltete jedenfalls zahlreiche Stammtischbesuche. Meine Großmutter soll es ihm nicht leicht gemacht haben. Mein Onkel hat sogar den Spruch eines Stammtischbruders aufgeschrieben. Es sollte wohl ein Trost sein. Mein Großvater hat ihn bis ans Lebensende nicht vergessen.» Sie zögerte. Einige der Menschen am Tisch würden die Worte nicht verstehen. Aber vielleicht begriffen sie den Sinn. «Schtuergert isch e schöne Stadt, Schtuergert liegt im Tale, wo’s so schöne Mädle hat, aber so brutale.»
    Die anderen im Raum lachten höflich mit. Das gemeinsame Gelächter tat gut.
    «Nun, später hat mein Großvater eine Firma gegründet und wurde Fabrikant von Gefrierdosen. Er hatte einen besonderen Patentverschluss entwickelt. Konrad Gabriel und seine Rosa bekamen zwei Söhne und eine Tochter. Sie sind alle schon gestorben. Ich bin die Tochter des zweiten Sohnes. Insgesamt hat Konrad fünf Enkelinnen.»
    Sie schaute hinunter auf ihre Tasche. «Ich muss Ihnen etwas zeigen», sagte sie, wickelte die Teeschale aus dem Seidenschal und stellte sie auf den Tisch. Mitten zwischen die Teller und die fast geleerten Schüsseln der sieben Gerichte, die es zum Abendessen gegeben hatte. Da stand sie nun im Schein der Deckenlampe, eine alte, zarte Kostbarkeit. Sie fügte sich so selbstverständlich in diese Umgebung ein, als würde sie hierher gehören. Sie betrachtete sie eine Weile. «Mein Großvater soll erzählt haben, dass er sie von einer Frau namens Mulan bekommen hat.»
    Am Tisch herrschte plötzlich Stille. Alle Menschen starrten fasziniert auf die kleine Schale. Plötzlich bekam sie Angst. «Habe ich etwas falsch gemacht? Bitte verzeihen Sie. Aber mein Großvater hat laut Chronik berichtet, es sei ein Geschenk gewesen…»
    Sie brach ab. Tang Shuxun nickte seinem Sohn zu. Zhirui stand auf und kam mit einem kleinen Kästchen zurück.
    Sie konnte es kaum fassen. «In genau solch einem Kästchen hat mein Großvater die Teeschale aufbewahrt! Eine Kusine hat es geerbt.»
    Die Stimme des alten Tang klang brüchig. «Vor vielen, vielen Jahren, als ich noch ein kleiner Junge war, sah ich, wie meine Großmutter Mulan einen Gegenstand in den Händen drehte. Ich fragte sie, was das wäre. Sie sagte, das sei eine sehr wertvolle Teeschale aus der Zeit der blauweißen Periode. Es gebe eine zweite. Diese befinde sich im Besitz eines jungen Soldaten, der mit meinem Großvater Tang Huimin befreundet gewesen war, einem Deguoren, einem Deutschen.» Er brach ab.
    «Wie hieß dieser junge Soldat?», auch ihre Stimme zitterte.
    «Meine Großmutter nannte ihn Ge Kangle.»
    Sie hielt den Atem an, spürte, wie ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief. «Ge Kangle. Diesen Namen hat ein Freund meinem Großvater in China gegeben, das habe ich in unserer Familiengeschichte ebenfalls gelesen. Er muss in den Jahren 1903 und 1904 in dieser Stadt gewesen sein. Ich weiß den Namen nicht, aber mein Onkel hat in seiner Chronik einen solchen Freund erwähnt. Ich glaube, einige der Briefe, die mein Großvater an seine Schwester in Berlin geschrieben hat, sind verlorengegangen. Mein Onkel muss sie noch gekannt haben. Ich habe überall nachgeforscht, konnte sie aber nicht mehr finden. Niemand weiß, warum er dieses wertvolle Geschenk bekam.»
    Alle Augen hingen an den Händen von Tang Zhirui, als er das Kästchen abstellte, den Deckel hob, einen Gegenstand hervorholte und ihn vorsichtig auf dem Tisch platzierte.
    Ihr war es, als hielte die Welt den Atem an. Sie starrte wie hypnotisiert auf diese beiden Teeschalen, die so selbstverständlich nebeneinander standen. Keiner der Menschen am Tisch sprach, die Überraschung war zu groß. Die beiden Schalen waren völlig identisch.
    Die Stille dehnte sich von Sekunden zu Minuten. Niemand wusste etwas zu sagen. Manchmal genügen Worte

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