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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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berichtete er weiter. «Es gehört zu den Legenden in meiner Familie, wie sie Seite an Seite mit meinem Großvater für die Revolution gekämpft hat.
    Sie brachte einen Sohn mit in die Ehe, Liu Tongren. Mein Vater wurde Debao gerufen. Er war der erste Sohn von Tang Huimin und Song Mulan.
    Ich erinnere mich gut an meine Großmutter. Sie war eine kluge Frau und eine wundervolle Guzheng-Spielerin. Tang Huimin, mein Großvater, hat sogar ein Ingenieurstudium in Deutschland absolviert, später war er auch in Russland. Mulan und die Jungen sind damals mit ihm gegangen.
    Ich glaube, mein Großvater war sehr stolz auf seine Söhne, auch wenn er nicht der leibliche Vater von Tongren war. Er hat ihn das nie spüren lassen. Tongren stammte aus der Verbindung meiner Großmutter mit einem reichen Komprador. Dieser muss bald nach der Geburt von Tongren gestorben sein. Als mein Großvater mit seiner Frau in Berlin war und dort studierte, kam noch eine Tochter zur Welt. Tongren hat später an der Universität Shanghai unterrichtet. Debao, mein Vater, war Professor an der Universität Beijing. Nach seiner Pensionierung ist er nach Qingdao zurückgekehrt und hat die Familie nachgeholt, auch mich und meine Frau. Mein Sohn Zhirui ist hier geboren.» Der alte Mann machte eine Pause. «Sie sehen also, meine Familie und mich verbinden vielfältige Beziehungen mit Ihrem Land.»
    Sie hatte den Atem angehalten. Mulan! Sie wagte es nicht nachzufragen, denn sie befürchtete, dass dies unhöflich wäre und sie dann überhaupt nichts mehr erfahren würde. Sie war wie elektrisiert, seit sie diesen Namen gehört hatte. Mulan! Diesen Namen kannte sie! Von ihr stammte die Teeschale in ihrer Handtasche.
    Die Kusinen hatten der Kleinsten, «Spätgeborenen» eine etwas pikante Familiengeschichte weitergegeben. So, wie Kinder das eben tun. Sie hatten Romantik gewittert, vielleicht eine verbotene Liebe. Warum sonst hätte diese Mulan dem Großvater solch ein wertvolles Geschenk machen sollen? Außerdem hieß es, zur Schale habe noch ein Brief mit chinesischen Schriftzeichen gehört. Dieser war längst verschwunden, vielleicht verbrannt in einem der beiden großen Kriege. Doch die Mädchen waren sich sicher, es musste um Liebe gegangen sein. Sie diskutierten immer wieder darüber. Der verstorbene Großvater habe nur von China gesprochen, wenn Großmutter Rosa nicht im Zimmer gewesen war, erzählten die Großen der Kleinen. Ja, und warum hatte er sich strikt geweigert, mehr zu dieser wertvollen Teeschale aus der Zeit der Ming zu erzählen? «Geheimnis», hatten die Kusinen mit leuchtenden Augen geflüstert. Pubertierende Teenager, schwärmerische Gören, deren Herzen beim Gedanken an eine mögliche Liebesgeschichte höher geschlagen hatten. Und eine Kleine, die mit großen Augen zuhörte, alles in sich hineinsaugte und nur die Hälfte verstand. Ja, so war es gewesen.
    Als Heranwachsende hatte sie oft versucht, sich diese Mulan vorzustellen, immer wieder in einer neuen Rolle. Mal als vornehme Chinesin, mal als Hausmagd, mal als Tänzerin. Vielleicht war sie aber auch eine Schauspielerin gewesen oder eine Revolutionärin. Immer aber wunderschön. Und so war diese fremde Chinesin für viele Jahre zur unsichtbaren Begleiterin des Mädchens geworden, das von fremden Welten träumte. Später, als die Kinder kamen, war sie aus ihren Gedanken verschwunden. Trotzdem hatte diese romantische Geschichte sie irgendwie begleitet. Ihr Leben lang. Bis hierher. Rund 100 Jahre später war die Teeschale in ihrem Gepäck nach China zurückgekehrt.
    Sie hatte das Gefühl, als könne sie spüren, wie das Porzellan in ihrer Handtasche zu vibrieren begann. Sie zögerte. Wahrscheinlich war das alles Zufall. Mulan war in China ein beliebter Name. Dann entschied sie sich anders und erzählte von ihrem Großvater.
    «Was ist aus ihm geworden?», erkundigte sich Tang Shuxun interessiert. Sie berichtete, dass Konrad Gabriel nach seiner Rückkehr zunächst beim Militär geblieben und dort im Proviantamt eingesetzt gewesen war. Eines Tages hatte er dann seinen Kameraden aus Tsingtauer Zeiten besucht – Eugen Rathfelder, der in Stuttgart ein Uhrmachergeschäft betrieb. Es gefiel ihm dort. Und schließlich wurde er nach Stuttgart versetzt.
    «Ich weiß das meiste nur aus einer Familienchronik, die mein Onkel geschrieben hat, als er schon ein alter Mann war», erzählte sie weiter. «Bei einem seiner Sonntagsausflüge hat mein Großvater demnach ein schlankes, dunkelhaariges Mädchen namens

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