Die Konkubine
womöglich anheizen. Damit sie sich gegenseitig die Köpfe einschlugen.
Verbittert dachte Liu daran, dass es um das Reich der Mitte schlecht stand. Seit Jahrzehnten gärte es im Inneren: erst die Taiping- und die Moslem-Aufstände, dann Missernten und Überschwemmungen. Die Mandschu-Aristokratie bis hinauf zur kaiserlichen Familie war verweichlicht, korrupt und intrigant, erstickte in dem Reichtum, den sie dem Volk abgepresst hatte, und klammerte sich an ihre Privilegien. Aber viele Hanchinesische Staatsmänner waren auch nicht besser. So hatten die Eindringlinge leichtes Spiel gehabt. Scheibe für Scheibe teilten sie das Reich unter sich auf, wie eine reife Melone. Zuerst hatten die Briten sich Hongkong geholt, sich Konzessionen in Shanghai und anderen Häfen gesichert. Dann waren die anderen wie ein Heuschreckenschwarm im Reich eingefallen: Russen im Norden, Franzosen im Süden. Italiener, Amerikaner. Ihre Diplomaten, ihre Militärs, die Kaufleute und Missionare überzogen das Land, erstickten es mit ihrer Gier. Und wenn die Einheimischen sich wehrten, führte es nur dazu, dass China neue Sühneleistungen aufgezwungen wurden. Und die Deutschen?
Auch sie spielten jetzt das falsche Spiel mit. Ihr Marine-Mandarin Tirpitz hatte doch nur auf eine Gelegenheit gewartet, damit sie im chinesischen Kernland einmarschieren konnten. Schon lange vorher hatten die Spione der Deutschen den günstigen Platz ausspioniert, getarnt als Hafenbaumeister und Geologen. Und dann, als im Süden der Provinz zwei deutsche Missionare von den Großen Schwertern ermordet worden waren, hatten sie den gesuchten Vorwand und gründeten im chinesischen Kernland eine Kolonie, die sie heuchlerisch Schutzgebiet nannten.
Es war zum Verzweifeln. Er dachte an den jungen Guangxu-Kaiser. Ein bleicher, zierlicher Mann mit vielen Krankheiten, der leise sprach. Er hatte die kühnen Visionen der Reformer begrüßt. Doch wie kläglich waren sie gescheitert! Die geistige Blüte Chinas war hingerichtet oder vertrieben, der Kaiser entmachtet, seine Tante Cixi, der alte Buddha, war wieder Mitregentin. Beide mieden den Umgang mit den fremden Eindringlingen. Die Mandschu fanden den Umgang mit diesen unkultivierten Fremden unter ihrer Würde. Der Einzige, den Kaiserin Cixi schätzte, war der Engländer, dieser Seezolldirektor Hart, der oberste Mann der Behörde, der die Zölle für die chinesische Regierung eintrieb. Er verschaffte dem Thron regelmäßige Einnahmen.
Doch die Herrschaft der Mandschu wankte. Sie hatten das Mandat des Himmels verwirkt, davon war er ebenso überzeugt wie seine Gesinnungsfreunde. Es war an der Zeit, dass wieder eine han-chinesische Dynastie an die Macht kam. Darauf hatte der Freund und Mentor Li Hongzhang schon lange im Stillen hingewirkt, geduldig und hartnäckig. Er hatte seinen Einfluss gefestigt, eine eigene Armee aufgestellt, hatte als Generalgouverneur der Zhili-Provinz entscheidend zur Niederschlagung der Taiping-Rebellen beigetragen. Natürlich hatte er dabei auch ein Vermögen gemacht, doch auf vorausschauende Weise. Li war nach Europa gereist und hatte sich dort umgesehen, auch in den Werken von Krupp-Gruson. Er ließ Industrieanlagen bauen, versuchte Handel und Bankwesen zu modernisieren. Er wäre der rechte Mann gewesen, China an der Spitze einer konstitutionellen Monarchie ins zwanzigste Jahrhundert zu führen. Doch die Krönung seines Lebenswerkes war ihm versagt geblieben. Wäre er doch nur nicht gestorben! China brauchte in diesen Zeiten Männer wie ihn.
Das dichte Netz an Beziehungen, das Li im Laufe seines Lebens im ganzen Land gesponnen hatte, war auch nach seinem Tod nicht zerrissen. Er hatte vorgesorgt: Yuan Shikai trat sein Erbe an. Und selbst wenn er Yuan nicht verpflichtet gewesen wäre, er hätte ihn schon aus Treue zu Li unterstützt. Auch wenn Lis Nachfolger in seinen Augen viel zu viel persönlichen Ehrgeiz an den Tag legte, so hatten sie doch ein gemeinsames Ziel: Sie würden die eigenen Mittel der Imperialisten nutzen, um China aus der Umklammerung zu lösen und wieder zu Macht und Wohlstand zu führen.
Ach, er vertat wieder seine Zeit mit Grübeleien. Wen sollte er zu dieser kleinen Gesellschaft bitten? Dem Gouverneur würde er die Einladung morgen früh persönlich überbringen. Die anderen konnte der Diener austragen.
Gut also. Bezirksamtmann Michelsen aus Licun. Dann natürlich Chinesenkommissar Schrameier, Georg Crusen, den Oberrichter des Amtsgerichts, Seezolldirektor Ohlmer, Heinrich Hildebrand,
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