Die Konkubine
den Direktor der Shandong-Eisenbahn, und wenn er schon bei den Direktoren war: auch von Kusserow, den Direktor der Deutsch-Asiatischen Bank. Mit ihm verbanden ihn beste Geschäftsbeziehungen. Dazu einige Kaufleute und den einen oder anderen Marineoffizier, das musste wohl sein. Chinesische Bekannte? Nein, dieses Mal nur Deutsche. Und Fauth? Nein, er musste eine andere Möglichkeit finden, ihn auszuhorchen. Der junge Deutsche? Man würde sehen.
Halt, die Geistlichkeit! Voskamp von der Berliner Mission? Nein, das war ein Eiferer, der in jedem ungetauften Chinesen einen zur Hölle Verurteilten sah. Pfarrer Wilhelm, den Leiter der Weimarer Mission? Ja, er würde mit seiner humorvollen Art für gute Laune sorgen. Obwohl man hörte, dass manche der Deutschen seine tolerante Haltung gegenüber Chinesen kritisierten. Einige der anderen Missionare fanden Wilhelms Benehmen sogar betrügerisch. Schließlich lasse er sich auch als Missionar bezahlen, sagten sie, und nun rühme er sich, überhaupt nicht missionieren zu wollen. Aber Truppel mochte ihn, und er war schließlich der Ehrengast. Er hatte den Satz nicht vergessen, den ihm ein Dolmetscher während eines Treffens mit dem deutschen Gouverneur einmal übersetzt hatte: «Vernünftiger Mann, der Wilhelm, kein verbohrter Sektierer, gewinnt uns Sympathien bei Ihren Landsleuten, Liu.»
Das stimmte. Wei Lixian, oder besser: Wei Jiaoshi, Missionar Wei, verhielt sich in vielem anders als seine Landsleute. Er sprach Chinesisch. Gut, das taten andere auch. Aber er hatte diese Sprache nicht nur gelernt, um zu predigen und den kleinen Leuten Angst einzujagen, damit sie sich zu Yesu bekehrten. Diese Sorte taufte jeden. Die Armen konnte er ja noch verstehen. Sie strömten zu den Missionaren für eine warme Mahlzeit, ein paar Kleider und Medizin. Reischristen nannte man sie. Nachts schlichen sie sich weiter heimlich in die Tempel. Aber wenigstens waren sie satt.
Doch dann gab es noch die Prozesschristen. Sie waren schlimmer als die Pest. Sobald sie getauft worden waren, schikanierten sie ihre «heidnischen Mitmenschen» und gaunerten ihnen unter fadenscheinigen Vorwänden ihr Hab und Gut ab. Wenn sich die Bestohlenen dann im Yamen beschwerten, schrien sie «Christenverfolgung!», ließen sich von einem Missionar verteidigen und bekamen allzu häufig Recht. Eine Schande! Nicht zuletzt solchen Leuten verdanken wir den Aufstand der Yihetuan, dachte Liu.
Wei Jiaoshi war gegen all das. Sein Missionsverein übte keinen religiösen Zwang aus. Er hatte eine Schule eingerichtet, das Deutsch-Chinesische Seminar. Wilhelm und seine Frau unterrichteten dort Deutsch und Naturkunde in deutscher Sprache. Aber er hatte zudem chinesische Literaten als Lehrer eingestellt, so dass die Schüler später auch die klassische chinesische Laufbahn einschlagen konnten. Gewiss, es gab dort jeden Morgen eine kurze Andacht. Aber die Teilnahme war freiwillig, ebenso wie beim sonntäglichen Gottesdienst.
Wilhelm legte es nicht darauf an, eine Christengemeinde zu gründen. Äußerte einer seiner Schüler den Wunsch, Christ zu werden, verwies er ihn an die Presbyterianer. Sie unterstützten die einheimischen Christen ernsthaft darin, eine eigene Nationalkirche zu etablieren. Es war nichts Schlimmes dabei, fand Liu. Zumindest, solange sie nicht Hass und Zwietracht säten wie manche Missionsstation. Manche der Europäer waren mit diesem Verhalten jedoch keineswegs einverstanden, das wusste er.
Nun, Wei Jiaoshi empfand jedenfalls eine tiefe Sympathie für die chinesische Kultur. Er hatte Liu einmal erzählt, dass er die Gespräche des Meisters Kong Fuzi ins Deutsche übersetzen wolle. Ja, er war ein guter Mensch. Fast kultiviert, sofern dies bei einem Ausländer überhaupt möglich war. Man sollte sich öfter sehen. Aber die Zeit war immer zu knapp.
Es war spät, bis er alle Einladungen verfasst hatte. Dennoch legte er sich noch einmal ein frisches Blatt zurecht, rieb ein wenig Tusche an, tauchte vorsichtig den Pinsel ein und malte. Zum ersten Mal fühlte er sich entspannt. Die Vorlage war ein Lied von Li Qingzhao, einer Dichterin der Song-Dynastie, die er besonders schätzte, nicht nur, weil sie in der Hauptstadt seiner Provinz, in Jinan geboren worden war.
Der Wind hat sich gelegt – der Boden ist von Blütenblättern ganz bedeckt;
Hinter meinem Vorhang: rote Inseln und schneeweißes Meer. Oh ja, ich weiß: Der Tag, an dem die Blüten fallen, Das ist der Tag, das Frühlingsende zu beweinen.
Kein muntres Zechen
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