Die Konkubine
mit Überseewaren sowie chinesischer Seide und Kunst, die in Europa gerade sehr beliebt war. Und Liu schien alles regeln, alles besorgen zu können. Nur wenige Menschen ahnten, was er tatsächlich alles regelte.
Ah, Li Hongzhang! Das war ein Mann nach seinem Herzen gewesen, überlegte Liu, während er mit einem Ohr der Unterhaltung seiner Gäste zuhörte. Wieder einmal empfand er Trauer, weil es diesem weitsichtigen Mann nicht vergönnt gewesen war, das neue, starke China noch zu erleben. Li hatte zu Lebzeiten die Ausbeutung der Ressourcen Nordchinas fast vollständig kontrolliert. Wenn er Unternehmungen einfädelte, an denen ausländisches Kapital beteiligt war, hatte er stets einen Teil des Stammkapitals für sich behalten und sich durch einen Strohmann einen Sitz im Aufsichtsrat gesichert. Li hatte die Arsenale von Suzhou, Shanghai, Nanjing kontrolliert, Bergwerke in Shandong und Shanxi. Li hatte 1878 die erste, fünf Kilometer lange Eisenbahnstrecke zu den Kaiping-Berg- werken durchs Land gezogen, er hatte Telegrafenleitungen und Baumwollspinnereien bauen lassen, eine Schule für den Umgang mit Torpedos gegründet und eine Militärakademie. Er hatte die Dampfschifffahrtsgesellschaft chinesischer Kaufleute ins Leben gerufen. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Tributreis für den Kaiser in Dschunken ehemaliger Piratensyndikate nach Norden transportiert worden. Auf Lis Initiative hin charterten chinesische Händler nun ausländische Dampfschiffe und hatten eine eigene Flotte aufgebaut. Li war auch der Oberaufseher über die nördlichen Häfen gewesen, er hatte Truppen zum Schutz des Korns entlang der Strecke von den Reisfeldern flussabwärts bis nach Shanghai stationiert. Und Lis Soldaten hatten auch den Transport von Salz nach Peking überwacht. Damit hatte er sich die Kontrolle über das Salzmonopol gesichert, eine der Haupteinnahmequellen des chinesischen Staates. Ja, Lis Erbe war gewaltig. Und Yuan wusste es gut zu verwalten, zu seinem und zum Nutzen Chinas. Alle, die ihm ergeben waren, belohnte er angemessen.
Liu Guangsan wandte seine Aufmerksamkeit wieder den Europäern zu.
«Viele Grüße für Exzellenz Truppel von Yuan Shikai», übersetzte der Dolmetscher, den Liu Guangsan an seine Seite geholt hatte. Bei diesen Worten nickte der Maiban lächelnd. «Er ist auch bereit zu helfen und gegen diese Banditen Soldaten zu schicken.»
Truppel zwirbelte seinen Schnurrbart. «Danken Sie meinem Freund, dem Generalgouverneur, für sein Angebot. Hat Großartiges geleistet während der Unruhen, haben ihm viel zu verdanken. Hervorragender Mann, das. Werden aber mit diesen Wegelagerern selbst fertig, scheinen keine Leute der Großen Schwerter gewesen zu sein. Vermute Bauern. Habe bereits die Bildung eines Strafkommandos angeordnet. Werden den Verbrechern schon einheizen, was? Hoffe, Yuan Shikai ist bei guter Gesundheit.»
Der Maiban neigte den Kopf. «Auch meine unwürdige Person hat Yuan viel zu verdanken», ließ er über den Dolmetscher mitteilen. «Erst gestern kam ein Schreiben von ihm. Soweit ich weiß, ist der Generalgouverneur wohlauf.» Er zeigte nicht, wie besorgt er über die angekündigte Strafexpedition war. Er musste die anderen Geschäftsleute und die Gesinnungsgenossen in den Dörfern im Umland warnen. Die Deutschen waren nicht immer zartfühlend mit den Bauern und ihren Familien umgegangen. Inzwischen war es besser geworden, man richtete sich miteinander ein. Das Fortkommen der Provinz Shandong und des Schutzgebietes Jiaozhou lag im beiderseitigen Interesse. Und auch im Interesse des neuen China, für das er kämpfte. Mit der Hygiene war es jedenfalls schon viel besser geworden, seit die Deutschen für sauberes Trinkwasser gesorgt hatten. Dieser Daifu, der Arzt Harry Koenig, hatte viel dafür getan. Außerdem hatte die Verwaltung den Bau von Toiletten angeordnet. Jeder Neubau musste einen Abtritt haben. Es gab inzwischen auch eine Kanalisation. Doch, das war gut. Es gab viel weniger Kranke.
Konrad verlagerte sein Gewicht zurück auf den anderen Fuß.
Diese Bewegung erregte die Aufmerksamkeit von Liu. Er winkte ihm zu und sagte dann mit seiner sonoren Stimme etwas zu dem Dolmetscher. Dieser war ein relativ junger Mann, vielleicht war er ein Xiucai, ein Lizentiat, überlegte Konrad. Das hieß, er hatte den ersten literarischen Grad bei den lokalen Beamtenprüfungen erlangt. Nein, der Mann war zu gut, sicher ein Juren, einer, der die höheren Prüfungen, die Provinz-, Hauptstadt- und Palastexamen
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