Die Konkubine
weggenommen wird, das ihn nährt, selbst wenn es gegen eine Entschädigung ist? Sag mir, Konrad, warum bist du hier?»
Konrad war beeindruckt, begriff erst jetzt das Ausmaß der Zerstörung, die der Bau der Schienen anrichtete – auch in den Gefühlen der Einheimischen. Was sollte er antworten? Er zuckte hilflos die Schultern. «Alle jungen Männer müssen bei uns zum Militär. Ich war zuerst in Danzig eingezogen. Es war grauenvoll, Quälereien der Rekruten gehörten zur Tagesordnung. Der Militärdienst ist nirgends schön, aber bei uns war es besonders schlimm. Als es dann hieß, der Kaiser suche Freiwillige für die Niederschlagung von Aufständen in China, da habe ich mich gemeldet. Alles war besser als die Garnison in Danzig.»
Huimin schüttelte den Kopf. «Das meine ich nicht. Was habt ihr hier zu suchen?»
«Nun, die beiden Steyler Missionare Richard Henle und Francis Nies sind ermordet worden. Sie standen unter dem Schutz des Reiches. Es war unsere Pflicht, sie zu beschützen. Und dann die Sache mit der Ermordung des Freiherrn von Ketteler, die Boxeraufstände…»
«Du bist wie alle Europäer. Arrogant und dumm. Und ich dachte, du bist anders.»
Er hatte den Freund noch nie so grob erlebt und war erschrocken. «Tang!»
«Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Das hat dein Kaiser befohlen. Was hatten diese Missionare, was hatte dieser Freiherr, was haben die Fremden in meinem Land verloren? Ihr seid nicht hier geboren. Ihr habt eure eigene Heimat. Und dennoch schneidet ihr euch jeden Tag ein neues Stück aus dem Körper Zhongguos, haltet euch noch nicht einmal an die Regeln, die ihr selbst für das Miteinander der Völker aufgestellt habt. Erinnerst du dich, was dein Kaiser gesagt hat? Ich habe es auswendig gelernt, damit ich es niemals vergesse.» Huimin zitierte die Sätze in fast akzentfreiem Deutsch.
«Ihr sollt fechten gegen eine gut bewaffnete Macht, aber ihr sollt auch rächen, nicht nur den Tod des Gesandten, sondern auch vieler Deutscher und Europäer. Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen, Pardon wird nicht gegeben; Gefangene nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei in eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.
Sag mir, was kann ein Untertan eines solchen Kaisers schon von China verstehen? Von diesem Zorn, dieser ungeheuren Wut, geboren aus der Armut der Bauern und der Verweichlichung und Schwäche der Qing, die ihren Stolz verletzt? Warum sollte ich die Ausländer mögen? Euer Gott sagt, wenn jemand euch schlägt, haltet die andere Wange hin. Und tut ihr das selbst? Nein, aber von uns verlangt ihr, dass wir uns schlagen lassen!»
«Du kennst die Hunnenrede von Kaiser Wilhelm II.?»
«Selbstverständlich. Jeder einigermaßen gebildete Chinese hier kennt sie.»
Konrad verstand Tangs Zorn bis zu einem gewissen Punkt. Auch er hätte nicht gewollt, dass man sein Volk mit Barbaren verglich. «Kannst du dich erinnern, wie es war, als die Marine hier an Land ging? Was erzählt man darüber bei euch?»
Tang lachte bitter. «Es war ein klarer Bruch eures eigenen Völkerrechts. Nur wenige Wochen zuvor waren Edmund Freiherr von Heyking und sein Dolmetscher Emil Krebs die geehrten Gäste unseres Generals Zhang Gaoyuan. Wir sind übrigens gerade an Zhangs früherem Hauptquartier vorbeigekommen. Warum also sollte er feindliche Absichten vermuten, als plötzlich die Panzerfregatte Kaiser, die Prinzess Wilhelm und die Cormoran in der Bucht auftauchten und vor Qingdao vor Anker gingen? Zhang ist Mandarin zweiten Grades, ein gebildeter und ein höflicher Mann. Er schickte also zunächst eine Visitenkarte an euren Konteradmiral Diederichs und erhielt im Gegenzug die des deutschen Kommandanten. Alles schien bestens. Einige eurer Offiziere gingen von Bord und wurden von den chinesischen Kollegen sogar eingeladen, ihre Gäste zu sein. Sie lehnten jedoch ab. Das war nach eurer Zeitrechnung der 13. November 1897.»
Konrad war vollkommen überrumpelt. Was sollte er dazu sagen? Diese Darstellung war ihm völlig neu. «Warst du dabei, Huimin?»
«Nein, damals gab es neben der chinesischen Garnison hier nur einige Fischerdörfer, mein Vater kam erst später aus dem Süden Chinas hierher.
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