Die Konkubine
Mensch. Er hat sein Vermögen der Weimarer Mission vermacht, und damit wurde dann das Hospital für die Chinesen eingerichtet. Natürlich ist es nach ihm benannt worden.»
«Und das Geisterhaus?»
«Unser Gast lässt sich nicht ablenken, was Me? Das Geisterhaus. Die Hütte hatte einem deutschen Kaufmann gehört, und dieser hatte sich darin erschossen. Von da an wurde das Haus gemieden. Die Leute glaubten, der so plötzlich Dahingeschiedene spuke dort. Ich wurde trotzdem einquartiert, weil man vermutete, dass ein Pfarrer auch mit Nachtgespenstern fertig werden würde. Was dann auch der Fall war. Ich habe den Geist des Kaufmanns nie zu Gesicht bekommen. Weit schlimmer als die Gespenster jedoch war die Regenzeit; das Dach war alles andere als dicht. Nach einigen vergeblichen Versuchen, einen trockenen Winkel für mein Bett zu finden, musste ich schließlich doch zum Regenschirm greifen. Faber, meinem Freund und Vorgänger, erging es nicht besser. Als ich an dem Morgen nach dem ersten Regen zu ihm hinüberging – er war gerade mit einer großen literarischen Arbeit, einer Übersicht über die gesamte chinesische Geschichte beschäftigt –, saß er an einem Tisch, der wie eine Insel in einem Teich in der Stube stand.
Und dann die Fliegen, meine Damen! Liebes Fräulein Freimuth, Sie werden noch bemerken, dass es hier zwei Arten gibt. Einmal eine gewöhnliche, graue Sorte, die sich nur durch eine träge Klebrigkeit auszeichnet. Und dann haben wir die so genannten Grünebohnenfliegen. Das sind grünschillernde, üble Biester mit großen roten Augen und von ausgesprochener Bosheit. Glücklicherweise sind sie nicht so groß wie Tiger. Trotzdem haben sie genügend Menschen unter die Erde gebracht. An den Wänden klackte damals auch noch hin und wieder ein Gecko. Zum Glück, muss ich sagen, denn der schnappte sich immer wieder einen schlafenden Moskito. Das sind die Viecher, die in ganzen Schwärmen am Abend die Fliegen ablösen.»
«Richard, nun aber genug!» Salome Wilhelm unterbrach die Erzählung ihres Mannes. «Mulan, meine Liebe, haben Sie Ihre Zither dabei? Sie hatten doch versprochen, uns eine Kostprobe Ihres Könnens zu geben. Meine Damen, es erwartet Sie ein außerordentlicher Musikgenuss. Song Mulan ist eine begabte Künstlerin.»
Mulan winkte. Sofort erschien ein Diener mit dem Instrument. Sie setzte sich an einen kleinen Tisch und legte die Guzheng darauf. Ihre Gastgeberin bot Meili den Platz an ihrer Seite an. Sie wollte damit die Unfreundlichkeit ihres Gastes aus Deutschland etwas ausgleichen, vermutete Mulan. Me Wilhelm benahm sich für eine Frau zwar oft reichlich freizügig. Aber was sollte man von einer Europäerin auch anderes erwarten. Diese Frauen trugen manchmal Kleider mit Ausschnitten, die jeder chinesischen Frau die Schamröte ins Gesicht getrieben hätten.
Und all diese Hüte und Hütchen, mehr oder weniger keck platziert, mit Tüll und Kantillestickerei, Federn, Schleifen, Aigrettes, Flügeln, Strassspitzchen, langen, wogenden Amazonenfedern, wenig gekräuselt, aber zwei- und dreifarbig oder ombriert. Dazu gesellten sich Federfahnen, wie Reiher-, Hahnen-, Trappen-, Fasanenfedern, und lange Nadeln, die aus Metall, Perlen, Filigranarbeit, Perlmutter, geschnittenem Stein bestanden. Die beliebtesten Kleiderfarben dieser Saison waren offenbar Pastelltöne, Beigeschattierungen, gelbe Nuancen in allen möglichen Facetten. Mulan und Chen Meili sahen aber auch kräftiges Gelb, Grün, Blau, Rosa. Und dann natürlich möglichst eine Wespentaille. Da mokierten sie sich über gebundene Füße und schnürten sich ein, bis sie nicht mehr richtig atmen konnten, dachte Mulan.
Doch wie Salome Wilhelm jetzt Meili ehrte, das war eine feine Geste. Mulan lächelte ihr dankbar zu. Salome Wilhelm gab ein ebenso warmherziges Lächeln zurück. Die anderen Damen registrierten das erstaunt, manche pikiert.
«Bitte, Mulan. Ich freue mich schon die ganze Zeit darauf», bat Frau Salome erneut. Mulan wusste, die Bitte war ehrlich gemeint. Ihre Gastgeberin war eine der wenigen Ausländerinnen, die etwas mit den kunstvollen Melodienbögen chinesischer Musik anfangen konnten. Die anderen Damen ergaben sich in ihr Schicksal.
Mulan holte die Fingerplektra aus dem Kästchen, das der Diener ihr hinhielt, und begann zu spielen. Die ganze Szenerie um sie herum versank, sie kehrte zurück in die sonnige Welt der Kindheit. Zusammen mit der Mutter stand sie auf der Rundbogenbrücke im Garten, schaute hinunter in das klare Wasser des
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