Die Korallentaucherin
interessiert, ist die Natur, das Land … Und in Sydney kann ich Umweltwissenschaften studieren.«
Ihre Mutter starrte ihre große, hübsche Tochter an, als sähe sie sie seit Jahren zum ersten Mal, und verzog das Gesicht, als hätte sie etwas Schlechtes gegessen. »Und wozu soll das gut sein? Was für einen Beruf willst du dann ergreifen?«, fragte sie.
Jennifer war ein wenig verblüfft über die Reaktion ihrer Mutter. »Einen wirklich interessanten. Ich könnte auch in einer Wohngemeinschaft außerhalb des Campus wohnen, denke aber, es wäre einfacher, in der Nähe der Bibliothek, der Seminarräume und der Cafeteria unterzukommen.«
»Du würdest zu Hause ausziehen?« Jennifer antwortete nicht. »Du hast dich erkundigt und deinen Entschluss gefasst, ohne mich zu fragen?«, fragte ihre Mutter gedehnt und mit einer Stimme, die Ärger verkündete.
Mit sinkendem Mut erklärte Jennifer: »Ich wollte mich nur gründlich informieren.«
»Nun, das war Zeitverschwendung. Es kommt nicht in Frage.« Ihre Mutter presste die Lippen zusammen.
»Mum, willst du mal das Programm sehen, das Handbuch, die Seminare, die ich belegen könnte?«
Ihre Mutter ging schneller. »Nein, will ich nicht. Für wen hältst du dich eigentlich? An die Universität! Das ist nur eine Ausrede, um von zu Hause wegzukommen und dich aufzuspielen.«
»Vielleicht könnten Tante Vi und Onkel Don mich ein bisschen unterstützen. Sie haben keine Kinder. Und sie haben schon immer gesagt, ich wäre wie eine Tochter für sie …«
Ihre Mutter blieb stehen, baute sich vor Jennifer auf und flüsterte mit zusammengebissenen Zähnen, um in der Öffentlichkeit keine Szene zu machen: »Das reicht. Was haben die jemals für uns getan? Für dich? Sie würden denken, wir wollten sie ausnutzen. Ich könnte ihnen nicht mehr in die Augen sehen.«
»Mum! Sie haben mich so oft eingeladen, die Ferien bei ihnen in Sydney zu verbringen. Oder angeboten, mit mir irgendwohin zu fahren. Du hast es nie erlaubt!« Ein tiefsitzender, lange unterdrückter Zorn brach sich Bahn. Jennifer spürte eine Enge in der Brust, bekam kaum noch Luft. »Wir sind nie irgendwohin gefahren! Seit zehn Jahren hocken wir in dieser Stadt. Ich hasse sie!«
»Ich arbeite hart. Ich hatte nie das Geld, dir einen Urlaub zu finanzieren. Ich hatte auch nie Urlaub!«, fauchte Christina zurück.
»Du hättest mich mit meinen Freundinnen fahren lassen können. Deren Eltern sagten, es würde überhaupt nichts kosten, wenn ich mit ihnen zum Camping fahren würde. Onkel Don hatte angeboten, mir das Geld für die Zugfahrt zu schicken.«
»Ich will nicht, dass du hinter meinem Rücken Pläne schmiedest, und ich will niemandem verpflichtet sein. In dieser Welt gibt es nur eine Möglichkeit, voranzukommen, und die besteht darin, für sich selbst aufzukommen.«
»Warum traust du keinem Menschen, Mum?«, fragte Jennifer leise. »Du denkst, die ganze Welt wäre gegen dich. Alle haben es darauf abgesehen, dich fertigzumachen.« Jennifers Zorn war verraucht; sie wirkte eher bestürzt als wütend.
Ihre Mutter ging weiter. »Du wirst es noch lernen. Auf die harte Tour. Und eines Tages wirst du mir dankbar sein. Glaubst du denn, es hilft dir, wenn du lieb und nett bist und den Leuten schöntust? Sie benutzen dich, Jennifer. Männern kann man nicht trauen, und Frauen sind immer neidisch. Stell dich auf deine eigenen Füße und verlass dich nur auf dich selbst.«
Jennifer beschleunigte ihren Schritt, um zu ihrer Mutter aufzuholen. Es machte sie traurig, dass ihre Mutter so dachte. Sie selbst betrachtete die Welt und die Menschen anders. Und hinter der hitzigen Wut ihrer Mutter erkannte sie eine ängstliche, unsichere Frau, die sich mit gespielter Selbstsicherheit durchs Leben schlug. Jennifer hatte hinter geschlossenen Türen erlebt, wie ihre Mutter wirklich war, und das war völlig anders. Den Rest des Heimwegs legten sie schweigend zurück, ohne Lösungen gefunden oder geklärt zu haben, was sie empfanden und wirklich meinten.
Jennifers Freude und Stolz über ihren glorreichen Schulabschluss war verflogen. Sie hatte ihre Mutter wieder enttäuscht. Und sie hatte sich während der Highschool-Zeit so angestrengt. Aber eines wusste sie: Sie wollte unbedingt fort aus dieser Stadt. Und von ihrer Mutter. Und Christina wusste es jetzt auch.
Wenig später war es dann der Besuch des Schuldirektors, der Christina so erschreckte, dass sie ihr Einverständnis zu Jennifers Bewerbung an der Universität in Sydney
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