Die Korallentaucherin
Er gab sich große Mühe und deckte den Tisch mit einer Kerze und einer Muschel als Dekoration, die er aus Rudis Labor entliehen hatte.
»Das sieht hübsch aus. Ich hoffe, es ist keines von Rudis giftigen Schneckenhäusern.«
»Ich hab’s überprüft. Dient nur zu Ausstellungszwecken. Und wir müssen sie zurückgeben. Muscheln dürfen die Insel nicht verlassen.«
»Und man hinterlässt hier lediglich ein paar Fußstapfen, wie?« Sie setzte sich, nachdem er ihr den Stuhl zurechtgerückt hatte.
»Ich nehme eine Menge von hier mit«, sagte er leise.
Sie unterhielten sich über das Buch und besprachen weitere Höhepunkte der Arbeit in der Forschungsstation.
»Mac will einen positiven Ton und etwas Sensationelles«, sagte Tony. »Er faselt ständig von Verrat, Verleumdung und allgemeiner Sabotage an der Uni und anderswo auch. Weißt du etwas darüber?«, fragte er Jennifer behutsam.
»Universitäten sind oft Hochburgen von Klatsch und Konkurrenzdenken, aber ich glaube, das dringt gewöhnlich nicht nach außen.«
»Nicht, wenn Finanzierungsgelder auf dem Spiel stehen. Ich habe nachgeforscht …« Er hielt inne. »Ah, das Thema ist ein bisschen heikel, aber ich wüsste gern, ob du weißt, dass Blair zu der Gruppe gehört, die eine Reihe von quasi-elitären Sportclubs an besonderen und schützenswerten Orten bauen will.«
»Blair und ich erzählen uns neuerdings nicht mehr viel.«
Warum sagst du ihm nicht, dass ihr euch trennt?
»Doch er hat so etwas erwähnt, und ich habe ihm geraten, sich besser nicht mit den Schleimern und ihren Freunden einzulassen.«
»Sehr klug. Sie müssen detaillierte Untersuchungen durchgeführt haben, aber mein misstrauisches Wesen fragt sich, warum sie immer noch bleiben, und ich habe den Verdacht, dass es eine Tarnung für etwas anderes sein könnte.«
»Zum Beispiel?«
»Das ist ja gerade das fehlende Puzzleteil. Wie auch immer, wenn die Forschungsstation in Misskredit gerät und geschlossen werden sollte, rechnet Reef Resorts, die ihren Teil der Insel gemietet hat, wahrscheinlich damit, dass ein anderes Unternehmen ebenfalls einen Teil für seinen Privatclub anmieten könnte. Die Universität ist nicht Besitzerin des Grundstücks oder der Forschungsstation. Ihr gehört nur die Einrichtung.«
»Aber das wäre nicht gut für die Ferienanlage auf Branch, nicht wahr?«, sagte Jennifer. »Weiß Rosie davon?«
»Fanzio und Holding sind leitende Angestellte von Reef Resorts, sie sind in der Position, diesen exklusiven Club durchzusetzen, vorausgesetzt, sie bringen das nötige Kleingeld auf. Ich habe mit Rosie gesprochen, und sie hält das für Wolkenschlösser. Sie arbeitet für Reef Resorts, unterstützt aber die Arbeit von Mac und seinen Leuten.«
»Es ist doch gerade die Natur, die Vögel, Schildkröten, das Riff, was Besucher auf Branch suchen. Nicht etwa irgendeinen schicken Privatclub«, bemerkte Jennifer. »Und die hier betriebene Meeresforschung ist unabdingbar, um mehr über die Erhaltung des gesamten Systems zu erfahren.«
»Ich bin ganz deiner Meinung. Aber Leute, die das große Geld machen wollen, spielen nach ihren eigenen Regeln. Privates, heimliches Glücksspiel inklusive. Tja, das ist für ein paar von den anderen Clubs vorgesehen, soviel ich weiß. Kann sein, dass ich voreilige Schlüsse ziehe, deshalb darf ich noch nichts sagen, solange ich nicht etwas mehr herausgefunden habe.«
»Ein schrecklicher Gedanke. Unternehmergier, Intrigen und Machtmissbrauch. Das ist so kurz gedacht. Ganz gleich, wie ökofreundlich sie sich darstellen, sie stören den seit Jahrhunderten bestehenden natürlichen Kreislauf!«
»Du hast recht, Jen. Denk nur an diese tollen alten Schildkröten, über die du forschst. Wie finden sie den Weg Hunderte, manchmal Tausende von Kilometern durch die Ozeane, um zur Eiablage zu dem Ort zurückzukehren, an dem sie geschlüpft sind?«
»Darüber denke ich nach.« Jennifer seufzte. »Vielleicht klingt es albern, aber die Anstrengung, die diese Schildkrötenweibchen auf sich nehmen, gibt mir Rätsel auf, zumal sie dann wieder wegschwimmen und nie erfahren, ob ihr Nachwuchs schlüpft und überlebt. Glaubst du, dass es sie hierher zurückzieht, weil sie selbst hier, an einem sicheren, schönen, friedlichen Ort, das Licht der Welt erblickt haben?«
»Wir alle tragen Eindrücke von frühesten Erinnerungen in unserer Seele. Vielleicht sogar von Erinnerungen vor der Geburt«, sagte Tony.
Jennifer schob ihren Fisch mit der Gabel auf dem Teller hin und her.
Weitere Kostenlose Bücher