Die Korallentaucherin
Sonntagsessen bei Tante Vi und Onkel Don zu begleiten. Für Jennifer wie auch für ihre Tante und ihren Onkel bedeutete Blairs Bereitschaft, sich in die Familie einführen zu lassen, eine wichtige Veränderung in ihrer Beziehung. Das erste gemeinsame Essen fand in lässiger Atmosphäre statt, und zu Jennifers Überraschung schien Blair Dons und Vis Gesellschaft wirklich zu genießen. Er fand Vi zum Lachen und war begeistert von ihrem Interesse für die internationale Küche.
Blair begleitete Jennifer bei weiteren Besuchen und lud sie alle in diverse Restaurants ein, die Vi sehr anregend fand. Vi und Blair fanden über Essen, Restaurants und Kochen zueinander, während Jennifer und Don über die Vogelzucht, ihr Studium und alles, was ihnen sonst noch in den Sinn kam, sprachen. Jennifer amüsierte sich über Vi und Blair, ihr Stöbern in der Vorratskammer oder in Vis alten Kochbüchern und freute sich maßlos, dass Blair akzeptiert wurde. Und es gefiel ihr, dass sie als Pärchen anerkannt wurden.
Jennifer sprach mit Blair auch über ihre Mutter in Victoria. Blairs Familie war ebenfalls zersplittert und verstreut, und er schien wenig Kontakt zu ihr zu haben, obwohl alle, wenn sie sich denn trafen, gut miteinander auskamen, wie Blair berichtete. Blair freute sich über die Verbindung mit Vi und Don, die keinerlei Verpflichtungen mit sich brachte, ihm jedoch Feedback aus einer anderen Generation und Schicht bot.
»Sie sind gute Menschen«, sagte er zu Jennifer. »Das Salz der Erde.«
Ihre Beziehung veränderte sich, als Blair die Arbeit in dem Hotel aufnahm. Er hatte spät Feierabend und war abgelenkt von den Vorfällen und den Menschen im Hotel. In Jennifers Augen handelte es sich um banale Probleme, doch sie hörte ihm zu und machte tröstliche und verständnisvolle Bemerkungen. Nach und nach würde er die Arbeit schon leichter nehmen und wieder mehr Spaß haben.
Sie hatten jetzt einen festen Freundeskreis. Einige Paare lebten zusammen, einige waren verheiratet, und Jennifer hatte das Gefühl, dass ihr Leben eine Routine bekam, die ihr recht gut gefiel, wenngleich sie ihr Studium und ihre Arbeit an der Universität kaum erwähnte, und wenn, dann nur beiläufig. Sie hatte immer noch den Teilzeitjob in der Universitätsbibliothek, der ihr ein bisschen Geld zusätzlich einbrachte.
Weihnachten nahte, und beide beschlossen, ihre Familien zu besuchen. Jennifers Zug fuhr in den Bahnhof ein, und sie kannte die meisten Leute, die ausstiegen oder auf dem Bahnsteig warteten. Als sie ihren Koffer auslud, lief ihre Mutter ihr entgegen.
»Entschuldige. Der verdammte Bus hatte Verspätung. Wollte mit einer Freundin zum Bahnhof fahren, aber im letzten Moment sprang der Motor nicht an. Sie ist ein hoffnungsloser Fall.« Christina schloss ihre Tochter in die Arme und nahm ihr die Handtasche ab, damit Jennifer den kleinen Koffer tragen konnte. Jennifer wusste, dass ihre Mutter, während sie über alles und nichts redete, zugleich ihr Aussehen bis ins letzte Detail in sich aufnahm: ihre neue schulterlange Frisur, ihr professionelles, aber natürlich wirkendes Make-up, ihre lässige, aber schicke Kleidung und die teuer aussehenden Schuhe und ihren Silberschmuck. Das zurückhaltende, blasse Mädchen war zu einer ausgeglichenen, tüchtigen und attraktiven jungen Frau geworden.
Sie nahmen ein Taxi nach Hause, und ihre Mutter betastete Jennifers Handtasche. »Die ist hübsch. Echtes Leder, wie? Muss eine Menge Geld gekostet haben. Ich hoffe, du wirfst dein Geld nicht zum Fenster hinaus, Jennifer. Legst du auch was auf die hohe Kante?«
»Ach, Mum, ich vergeude nichts. Ich spare und kaufe mir gelegentlich mal ein wirklich gutes Teil im Ausverkauf oder in Billigläden. In der Stadt kann man so manches Schnäppchen machen.« Sie lachte.
»Ja, vermutlich bekommst du in Sydney so einiges, was es in unserer Kleinstadt nicht gibt. Aber hier ist deine Heimat, vergiss das nicht, Jennifer.«
»Natürlich nicht, Mum. Na ja, die Heimat ist im Grunde dort, wo man aufwächst. Für mich ist unsere alte Farm die Heimat. Und die liegt nicht weit von hier entfernt, nicht wahr?«, fügte Jennifer rasch hinzu, als sie sah, wie ihre Mutter bei der Erwähnung der Farm die Lippen verkniff.
Die Feiertage zogen sich für Jennifer endlos hin. Es strengte sie an, das Leben ihrer Mutter bis in die kleinsten Details geschildert zu bekommen – die Leute, mit denen sie zusammenarbeitete und die in den Augen ihrer Mutter alle inkompetent waren; die gefürchtete
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