Die Korallentaucherin
dich nicht einladen kann. Ich wohne auf dem Campus.« Dann kam ihr eine Idee. »Wie wär’s, wenn wir mal ein Picknick machten? Ich besorge das Essen. Natürlich nur, wenn du Zeit hast.« Sie hatte keine Ahnung, wo es stattfinden sollte, würde sich aber informieren.
»Dafür werde ich mir auf jeden Fall Zeit nehmen. Hier, ich gebe dir meine Telefonnummer.« Er griff nach einem Stift und einem Stück Papier auf dem Küchentresen.
»Im Café sehe ich dich wahrscheinlich sowieso?«
»Das will ich hoffen. Soll ich dich irgendwohin fahren?«
»Nein, nicht nötig. Ich nehme ein Taxi.« Sie nahm ihre Einkäufe an sich und eilte zur Tür, um zu vermeiden, dass er telefonisch ein Taxi bestellte. Sie hatte nicht die Absicht, Geld für derartigen Luxus auszugeben. Sie würde zu Fuß gehen. »Ganz herzlichen Dank, Blair … Man sieht sich.«
»Tschüs, Jennifer.« In Gedanken fasste er bereits den Plan, sich mit ein paar Kumpels in der Kneipe zu verabreden, um ein Fußballspiel anzusehen.
Jennifer saß in der Bibliothek und begann, die Seminarnotizen zu lesen, die ihr Tutor ihr für die Wahl ihres Studienschwerpunkts gegeben hatte. Naturwissenschaften zu unterrichten, erschien ihr immer weniger attraktiv, und sie glaubte nicht, dass sie über eine ausreichend starke Persönlichkeit verfügte, um eine ganze Klasse unter Kontrolle zu bekommen. Forschung, Recherche, das Sammeln von Informationen und das Zusammensetzen von Puzzleteilen – insbesondere in Bezug auf die Natur – faszinierten sie weit mehr.
Sie las die Zusammenfassung eines ihrer Seminare: »Naturschutzbiologie untersucht die ökologische Theorie zum genetischen, spezien- und ökosystembezogenen Schutz. Eine Untersuchung diverser Techniken der Auswahl, Planung und Organisation von Reservaten, gestützt von Fallstudien in australischen Naturschutzgebieten.«
So viele – für sie neue – Themen standen zur Verfügung. Allgemeine Themen wie auch sehr spezifische und enggefasste, die dennoch wichtig waren für die übergeordnete Frage, wie die Menschen nachhaltiger mit der Natur und dem Planeten koexistieren können.
Jennifer erinnerte sich an das alltägliche Leben während ihrer Kindheit auf der Farm. An den vorhersagbaren Wechsel der Jahreszeiten, an Tiere, die geboren, gemästet, geschlachtet oder verkauft wurden. Wallabys mit Jungen im Beutel, die Vögel, die Jahr für Jahr zu ihrem Nistplatz zurückkehrten, die Weiden, die nach der Heuernte wieder üppig grünten. Schon früher, als sie und ihre Mutter allein auf der Farm lebten, hörte sie die Männer klagen, wie sehr sich alles veränderte. Das nichts mehr so war wie früher. Oder wie es sein sollte. Und sie erinnerte sich, wie die Männer die Köpfe schüttelten und grausige Dinge prophezeiten. Und niemand konnte ihr sagen, warum.
Antworten. Die lockten sie. Wenn sie Phänomene von Ursache und Wirkung in der Umwelt erforschen konnte, würden sich ihr vielleicht Lösungen offenbaren.
Bei einem Kaffee mit Blair im Crush sprach sie ihre Überlegung an, von der Lehre zur Forschung zu wechseln, doch er zuckte nur die Schultern.
»Tut mir leid, Jenny, nicht mein Thema. Kannst du nicht einfach den Lehramtsabschluss machen und später entscheiden, was du unterrichten willst?«
»Eigentlich finde ich das Lehramt nicht so attraktiv. Ich würde lieber in die Forschung gehen. Ich glaube, ich sollte mehr naturwissenschaftliche Fächer belegen.«
»Ja, gut. Praktische Erfahrung ist das Beste, schätze ich.« Er grinste. »Schau mich an.« Er legte sich eine weiße Serviette über den Arm und wies auf die Küche. »Kellner, Vorderhausleiter, Koch, Personalchef, Computer-Freak. Und am Montagmorgen helfe ich, die Hausfront zu streichen. Man kann nie wissen, welche Aufgabe einem zugewiesen wird. Hansdampf in allen Gassen. Ich würde mich für den einfachsten, umfassendsten Abschluss entscheiden, der dir die größte Auswahl garantiert.«
Jennifer nickte und überlegte, wie verschieden ihrer beider Einstellung doch war. Sie dachte an das Gegenteil eines Hansdampfs in allen Gassen: den Nichtsnutz. Nun ja, sie war ein bisschen wählerischer oder hatte vielleicht ein enger gefasstes Ziel. Allerdings hatte er insofern recht, als ein weitgefasster Abschluss ihr mehr Wahlmöglichkeiten eröffnete. Tja, sie würde einfach drauflos studieren und die Seminare belegen, die ihr in der Forschung dienlich sein konnten. Ihre Mutter brauchte nichts davon zu wissen. Ein Studienabschluss war in ihren Augen so gut wie
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