Die Korallentaucherin
Tauchkapsel leicht schaukelnd von der Barkasse abgeschleppt wurde. Die Menschenmenge am Strand vor der Haifischbar begann sich aufzulösen. Gideons Anweisungen waren über das Motorengeräusch hinweg zu hören, während Isobel in den Papieren voller Berechnungen und Grafiken auf ihrem Klemmbrett blätterte.
»Die Insel sieht für sich allein so verloren, zerbrechlich und einsam aus«, flüsterte Jennifer Mac zu, der neben ihr saß. »Ich möchte wissen, wie sie dort unten verankert ist, was für massive Eruptionen den kleinen Punkt hinaus ins Sonnenlicht geschleudert haben. Kein Wunder, dass ich mich so isoliert und so vergänglich fühlte, als ich hier ankam.«
»Jede Insel ist einzigartig hinsichtlich ihrer Erschaffung und der Entwicklung ihrer Flora und Fauna. Eine Insel hat nicht viele Feinde, höchstens vielleicht das Meer und den Wind«, antwortete er leise.
»Ich komme mir vor wie ein Eindringling in einem lebenden Museum. Und wo immer der Mensch erscheint, zerstört er, was schön und besonders ist. Und dann frage ich mich: Sollten wir wirklich hinuntertauchen in dieses letzte Geheimnis? Mir gefällt die Vorstellung besser, dass es unbekannt, ungestört bleibt.«
Als das Boot und die Tauchkapsel das äußere Riff erreicht hatten, hatte Jennifer den Eindruck, als wären Isobel und Gideon auf einer Art Mond im Meer gelandet. Die Kamera fuhr über die Landkarte von hellen und bunten Riffkanälen und Auswüchsen, wo das seichte Wasser hell und klar war, bis zu den tintenblauen Tiefen jenseits des Kontinentalschelfs. Jennifer stellte sich Abgründe vor, tiefer als der Grand Canyon, in denen der Mount Everest verschwinden konnte, ohne dass sein Gipfel sichtbar wäre.
Die Kamera zoomte und verkürzte die Entfernung zwischen dem Boot und einer Fontäne von Meerwasser, die ein Wal ausstieß. In den nächsten paar Sekunden erhob sich der dunkle Rücken des Wals aus dem Wasser und glitt mit einem Schütteln der Schwanzflosse zurück ins Meer. Es waren drei von der verstreuten Herde auf dem Weg zu ihren jährlichen Fortpflanzungsgründen in den warmen nördlichen Gewässern des Riffs.
Auf dem Bildschirm studierten Gideon im Haimobil und Lloyd auf der Barkasse den GPS -Ultraschall-Tiefenmesser. Lloyd drosselte den Motor, drehte sich um und rief Isobel zu: »Irgendwo auf den nächsten paar Metern lassen wir euch runter auf Plateau eins.«
»Prima. Dann mal los.«
Die Akustik war merkwürdig. Jennifer wusste, dass Schallwellen Wasser leichter durchdrangen als Luft und einige Frequenzen Hunderte oder Tausende von Kilometern zurücklegten. Kein Wunder, dass Wale einander über große Entfernung hinweg zusingen konnten. Sie warf einen Blick auf Mac an ihrer Seite und erinnerte sich an seine Erläuterung, dass die Akustik-Technologie zur Kartierung des Meeresbodens und zur Lokalisation von Gegenständen, Tieren und natürlichen Ressourcen auch für militärische Zwecke und für Untersuchungen unter den Polarkappen genutzt wurde. Damit konnte man feststellen, ob der Ozean sich abkühlte oder erwärmte. Oder uralte Flüsse unter dem Meer entdecken.
Die Taucher benutzten drei Kameras, unter Wasser und in der Kapsel, die aus verschiedenen Blickwinkeln den Tauchvorgang des Haimobils einfingen, vorbei an leuchtenden Korallenhügeln, Fischen, die blitzten wie Diamanten, und gelegentlich an einem Saum aus alten, abgestorbenen Korallen, wo schattenhafte große Fische lauerten. Es kam Jennifer vor, als wäre das Unterwasserfahrzeug in weichen blauen Samt gehüllt, leicht verknittert, als hätte jemand darauf geschlafen. Balken von Sonnenlicht durchdrangen das Blau und ließen die Schuppen der Fische schillern. Durchsichtige Quallen pulsierten vorüber, und kleine Wesen wie juwelenbesetzte Krabben schossen ruckartig vorwärts, erstarrten dann und wedelten mit enorm langen Fühler-Antennen.
Allein beim Anblick des Filmmaterials verlor Jennifer das Gefühl für senkrecht und waagerecht. Es gab keinen Horizont, nur das regenbogenfarbene Meer ringsumher. Es war kristallhell und leuchtend, die Sicht erstaunlich klar. Gelegentlich zoomte die Kamera bunte, weiche Korallen heran, die aussahen wie hell strahlende Organe. Isobel und Gideon im Cockpit sprachen leise, respektvoll, machten sich Notizen, zeichneten Daten auf, behielten die Instrumente und die kleinen Bildschirme aus Plexiglas im Auge. Sie schwebten über eine Bank aus abgestorbenen Korallen, an der ein paar übrig gebliebene, stachlige Dornenkronen-Seesterne klebten und die
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