wissen, wie die Insel zur Zeit seines ersten Besuchs hier ausgesehen hatte. Er erzählte von der Tierwelt, den unglaublichen Fischzügen, seiner wundervollen Liebesbeziehung mit einer polynesischen Bohème-Künstlerin. »Sie war ein weiblicher Gaugin. Hätte ihre Werke für ein Vermögen an die großen Galerien verkaufen können. Ich habe ihr eine Ausstellung in London ausgerichtet. Sie hasste das Grau und ist zu ihrer Familie zurückgekehrt. Unsere Kinder sind in ihrer Großfamilie aufgewachsen. Sehr liebevoll, aber als ich einmal fort war, hat mein Vater meinen Onkel geschickt, um die ›armen, barfüßigen Analphabeten, die unter Wilden leben müssen‹, zu retten. Im Internat haben sie furchtbar gelitten, bis ich sie dann gekidnappt habe.« Er lachte leise. »Sie beherrschten drei Sprachen in Wort und Schrift, konnten tanzen, singen, Instrumente spielen, segeln, kannten sich mit Astronomie aus, liebten die Natur, schwammen wie die Fische, kletterten auf Kokospalmen. Was braucht man noch mehr?«
»Ich hoffe, auch mein Kind kann all das lernen«, seufzte Jennifer.
»Dafür werden wir schon sorgen«, sagte Gideon. »Diese Insel ist die Heimat deines Kindes. Es wird hier immer ein Plätzchen finden.«
»Das hoffe ich. Sehnst du dich nach dem Ort, an dem du aufgewachsen bist? Du sprichst nie über England, über deine Familie«, versuchte Jennifer, ihn auszuhorchen.
»Ach, das ist langweilig. Aber ich habe Tony davon erzählt. Einmal reicht. Es ist jetzt gespeichert.«
Jennifer hatte noch nicht die Zeit gefunden, Tonys gesamte Aufzeichnungen und Kassetten durchzuarbeiten. Abends nach dem Essen hörte sie Radio und arbeitete noch ein wenig, bevor sie mit den Büchern aus der Uni-Bibliothek zu Bett ging. Sie nahm sich vor, ein paar von Tonys Kassetten abzuhören. Wenn ihr Buch von der Insel und der Arbeit des Forscherteams handeln sollte, brauchte sie alles an Hintergrundwissen, was Gideon zu bieten hatte. Gideon erzählte hauptsächlich von den Geheimnissen der Tiefsee und dem bizarren Fisch, den er eines Nachts gesehen hatte: »So groß wie ein Kind, leuchtend blau mit Flossen wie Finger und Stummelbeinchen.«
»Wie ein vierhundert Millionen Jahre altes fischiges Wasserbaby«, sagte Jennifer.
»Vielleicht gehen manche Seelen lieber ins Meer statt in den Himmel. Ich stelle mir gern vor, dass die Schüssel, die der Planet Erde darstellte, umgestülpt ist, so dass der Himmel und die Sterne unter uns und das Meer über uns sind und wir, wenn wir den Blick heben, Wolken aus Korallen und Regenbogen aus Fischen sehen.«
»Aber das Meer würde auf uns herabregnen … Fische und Haie und Korallenstücke und Stürme aus Seetang!« Jennifer lachte, es machte ihr Spaß, ihn zu necken.
»Hm, dann lassen wir das Meer lieber, wo es ist. Aber wer weiß schon, ob das Meer nicht irgendwann wieder das Land bedeckt oder ob es sinkt und schrumpft. Und dafür können wir Gott nicht die Schuld geben.«
»Ich könnte nicht in einem Land ohne Meer leben«, sagte Jennifer. Merkwürdig, welch große Bedeutung das Meer inzwischen für sie gewonnen hatte.
»Wir würden sterben. Wir alle bestehen aus Wasser. Wir können ohne Sonne, Luft und Wasser nicht existieren. Und wie kommst du mit deiner Arbeit voran? Ist Professor Mac zufrieden? Wann ziehst du los, um in einem Seminarraum zu sitzen?«
»Erst, wenn das Baby geboren ist. Vier Wochen Seminare, dann komme ich zurück, packe ein und schreibe hoffentlich meine Arbeit zu Ende.«
»Dann ist das Team wieder vollzählig anwesend, und du hast nicht mehr nur mich blöden alten Knacker zur Gesellschaft. Aber in ein paar Tagen reise ich ab, um meinen Nachwuchs zu besuchen. Auf den Cook-Inseln. Aber bevor das Baby kommt, bin ich zurück. Will doch da sein, um auf das Kind anzustoßen.«
»Prima. Ich schätze, das große Ereignis wird mich völlig überrumpeln. Im Augenblick muss ich mich aber in erster Linie um meine Arbeit für die Uni kümmern.«
»Du schaffst das, Kleine. Jetzt bist du nicht mehr aufzuhalten. Isobel zählt darauf, dass du in ihre Fußstapfen trittst.«
»Oh, das wage ich zu bezweifeln! Aber wenn ich in diesem Bereich tätig werden könnte – für Gehalt –, nun ja, das wäre einfach perfekt!«
An:
[email protected] Von:
[email protected] Jenny, Liebes … der letzte Aufsatz war brillant, wirklich gut. Vielleicht ein bisschen »blumig«, das heißt, zu deskriptiv für akademische Zwecke, und wenn du eine Schlussfolgerung ziehst, dann untermauere sie mit