Die Korallentaucherin
gewesen war und wie umsichtig Tony sie zu dieser winzigen Insel manövriert hatte. »Hast du zwischendurch mal gedacht, wir würden es nicht bis hierher schaffen?«
»Oft genug! Das war ein Witz«, sagte Tony, doch sie wusste, dass es ihm ernst war.
Tony erklärte ihr rasch das Funkgerät und die Handhabung der Leuchtpistole, für den Fall, dass er von seinem »Ausflug« nicht zurückkam.
»Willst du wirklich?«, fragte sie zum fünften Mal.
»Bin in null Komma nichts zurück, Jen. Es hat aufgehört zu regnen. Aber es könnte wieder anfangen. Lauf nicht herum, damit du nicht stolperst und über Bord gehst. Das Wasser wirkt ruhig, aber manchmal gerät es unverhofft in Bewegung.«
Ein Bild schoss Jennifer durch den Kopf, als er das sagte. Die siebte Welle, die unverhoffte Wasserwalze, die alles mit sich riss. Sie schauderte und schloss die Augen.
»Frierst du?«, fragte Tony. »Ich bleibe nicht lange weg.«
Er packte Satellitentelefon, Taschenlampe, Messer, Fernglas und ein Stück Seil ein, band das kleine Schlauchboot los und ließ es über die Seite herab, während Jennifer die Leine hielt. Er stieg auf den Heckbalken, von dort ins Schlauchboot, und als er die Ruder eingehängt hatte, nickte er, und Jennifer warf ihm die Leine zu.
»Sei vorsichtig!«
»Bleib unter Deck«, rief er zurück.
Während sie in dem leeren, vor Anker schaukelnden Boot wartete, mühte sich hinter den bleiernen Wolken ein blutunterlaufener Sonnenuntergang ab. Jennifer sann über diese kleine Felseninsel nach. Wer außer ihnen war je hier gewesen? War der furchtlose Cook in Sichtweite dieser Insel vorübergesegelt, als er die Inseln des Great Barrier Reef kartierte? Wieso gab es dort einen Weg? War hier ein schiffbrüchiger Seemann an Land gegangen? Hatte irgendein Tier überlebt und dort allein gelebt? Plötzlich kamen ihr wilde Geschichten über Wracks und Piraten und groteske Todesfälle in den Sinn, die sie in Macs Häuschen gehört hatte. Von einem Ehepaar, das an Land gespült wurde; er saß auf einem Hügel der Insel und glaubte seine Frau tot, doch er hörte ihre Hilfeschreie und fand sie schließlich weiter unten in einer Höhle. Oder von dem Schiffskapitän, enthauptet von der Takelage, als das Schiff auf einen Korallenauswuchs auflief, und von Menschen, die auf hoher See auf mysteriöse Weise von ihren Schiffen verschwunden waren. Von der Bedrohung durch Piraten weiter im Norden.
Du liebe Zeit, warum denke ich ausgerechnet jetzt an diese Dinge?
Sie spähte durch das Bullauge, konnte Tony oder das graue Schlauchboot aber nirgends an der dunklen Küste erkennen. Das Tageslicht schwand rasch. An diesem Abend gab es keinen romantischen Sonnenuntergang.
War dort am Hügel Licht aufgeblitzt? Sie erhob sich, rang aber gleich darauf nach Luft und blieb starr stehen. Ihre Hand fuhr an ihren Bauch. Eine rasche, stechend schmerzende Kontraktion. Sie hatte sich ungeschickt bewegt; diese Muskelkrämpfe tauchten jetzt gelegentlich auf. Vorsichtig verließ sie die Kombüse, da traf es sie erneut. Ein Zusammenziehen der Muskeln, von einer Seite zur anderen.
Es konnte doch nicht sein.
Sie wartete. Nichts geschah.
Gott sei Dank. Das hätte mir noch gefehlt.
Ein Schlag gegen den Schiffsrumpf ließ sie zusammenfahren. Noch einer. Jennifer kletterte an Deck und sah Tony, der das Schlauchboot längsseits manövriert hatte.
»Schnell, nimm die Leine.« Er warf sie ihr zu, und während sie sie an der Klampe festzurrte, sprang er auf den Heckbalken und zog das Schlauchboot hoch. »Geh nach unten.« Er sprach besorgt, kurz angebunden.
»Was gibt’s?«
»Gleich. Geh nach unten.«
Schweigend drehte sie sich um und stieg die kurze Leiter hinunter, hielt jedoch auf halbem Weg inne und umklammerte zu beiden Seiten das Geländer, als wieder ein krampfhafter Schmerz durch ihren Leib fuhr. Sie setzte sich auf die Bank, hielt ihren Bauch und sah bleich und ängstlich aus.
»Unglaublich. Ich hätte nie gedacht, dass ich mir diesen Sturm zurückwünschen könnte.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
»Wieso? Was ist passiert? Was hast du gefunden?«
»Tja, zunächst mal hat mich irgendein Tier fast umgerannt. Ich dachte, es wäre ein Mensch. War aber ein verdammter Emu, wie ich dann feststellte.«
»Was? Du machst Witze!«
»Er ist ausgesetzt worden, und jetzt sucht er nach einem Partner. So etwas Ähnliches habe ich auch schon von einem Paar auf Percy Island gehört. Das verdammte Vieh ist hinter mir hergeschwommen. Aber hör zu, jetzt mal im
Weitere Kostenlose Bücher