Die Korallentaucherin
mit einer auffallend rot getönten Lockenmähne, strahlte Kraft und Selbstvertrauen aus. Dazu war sie sehr warmherzig und freundlich. Jennifer mochte sie auf Anhieb.
Ein Plankenweg führte vom Strand auf das Hotelgelände. Es war wie ein kleines Dorf mit blitzweißen Sandwegen zwischen Grüppchen von doppelstöckigen Villen mit Blick aufs Meer. Das Zentrum war wie eine Radnabe, um die Villen und einzelne Häuschen strahlenförmig angelegt waren, alle umgeben von kleinen Bäumen. Im Zentrum befand sich der Empfangsbereich mit bequemen Rattansesseln, einem Computer mit aufwendigem Internetzugang und einem Informationsschalter. An die Rezeption schloss sich ein Billardzimmer mit Bar an. Gegenüber sah Jennifer eine kleine Boutique und das Tauchzentrum, voll mit Neoprenanzügen und Unterwasserausrüstung. Gäste in Badesachen oder sehr lässiger Kleidung schlenderten vorüber. Einem Neuankömmling in Straßenkleidung mussten sie erscheinen wie Angehörige eines farbenfreudigen halbnackten Stammes.
»Wir nehmen den hinteren Weg«, sagte Rosie und führte sie auf einen Sandweg unter schattenspendenden, gedrungenen Bäumen mit dunkelgrünen Blättern. Jennifer verlangsamte ihre Schritte, als sie die weißen klebrigen Flecke über dem Laub am Boden sah, und beim Anblick von mehr als zehn Vogelnestern auf dem Ast vor ihr fuhr sie regelrecht zusammen.
Seite an Seite, so dicht, dass sie einander berühren konnten, hockten die Vögel auf zerzausten Blätterhaufen, die von dem weißen Guano, der sie sprenkelte, zusammengehalten wurden. Überall auf den Ästen und in jeder noch so zerbrechlichen Astgabel war ein Nest gebaut. In jedem saß eine stoische schwarze Noddy-Seeschwalbe, deren Partner sich in der Nähe aufhielten oder im Baum und auf dem Boden herumhüpften, ohne die Menschen zu beachten. Der Baum bebte und raschelte von Gezänk und Bewegung, Gekreisch und Gedränge.
»Das müssen ja Hunderte sein!«, rief Jennifer.
»Zur Brutzeit haben wir hier über hunderttausend. Wenn sie in den Bäumen sitzen, passt keine Briefmarke mehr dazwischen.« Rosie lachte. »Branch Island ist berühmt für seine Vögel. Das hier sind Pisonien. Die Blätter sind praktisch für ihren Nestbau.«
»Sie haben überhaupt keine Angst vor uns.« Jennifer neigte sich vor und sah einem der Vögel aus wenigen Zentimetern Abstand in die Augen. Er wandte nur gelangweilt und missbilligend den Kopf ab.
»Regel Nummer eins auf dieser Insel: Sie ist ein Nationalpark, die Natur steht an erster Stelle.« Sie gingen weiter. »Es kann schwer sein, einen aus dem Nest gefallenen Vogel oder eine Seeschwalbe mit von einer Pisoniafrucht verklebtem Gefieder nicht aufzuheben oder einem gestrandeten Schildkrötenbaby nicht zu helfen oder eine hübsche Muschel oder Koralle nicht einzustecken.« Rosie hielt inne, dann sagte sie mehr zu sich selbst: »Wenn man diese Regel auch auf die Menschen hier auf der Insel anwendet, kann es sehr interessant werden. Manchmal wirst du feststellen, dass Leute überreagieren oder sich anders verhalten als auf dem Festland. Manche nennen es Inselfieber. Das ist nur natürlich, wenn so viele unterschiedliche Persönlichkeiten in einer kleinen, isolierten Gemeinschaft zusammengewürfelt werden.«
»Dadurch wird Blairs Job interessant«, bemerkte Jennifer.
»Blair wurde wegen seiner Begabung für Menschenführung ausgewählt. Und seine Jugend ist auch von Vorteil«, sagte Rosie.
Jennifer fragte sich, wie Blair in diesem Insel-Treibhaus zurechtkommen würde. Sie wusste schon jetzt, dass es für sie eine Herausforderung war.
Nachdem sie durch einen Tunnel aus dicht stehenden Bäumen geschritten waren, gelangten sie auf eine sandige Lichtung, die umgeben war von den Wohnungen der Angestellten. Es waren schlichte, luftige Doppelhäuser mit kleinen Veranden, auf denen Taucheranzüge und Schwimmflossen gelagert und Strandlaken zum Trocknen aufgehängt waren. Es gab einen Grillbereich mit Tischen und Stühlen, und über allem lag die Atmosphäre eines Ferienlagers. Jennifers Stimmung trübte sich; sie konnte nur hoffen, dass sie und Blair nicht hier wohnen mussten.
Vielleicht hatte Rosie ihre Gedanken gelesen. »Die Häuser der leitenden Angestellten liegen ein Stück weiter verstreut unter den Bäumen. Gelegentlich ist die Musik der Mitarbeiter ein bisschen laut. Deshalb befinden sich ihre Häuser möglichst weit entfernt von den Gästen.«
Sie gelangten zu zwei nebeneinanderliegenden Bungalows mit Blick auf dichten Baumbestand. Jeder
Weitere Kostenlose Bücher