Die Korallentaucherin
verfügte über einen einfachen Holzbalkon mit zwei Stühlen und einem kleinen Tisch. Die Balkone waren durch einen Sichtschutz getrennt, doch der Nachbar hörte jedes Wort, das gesprochen wurde.
»Wer wohnt nebenan?«, fragte Jennifer, bemüht, sich eine positive Bemerkung einfallen zu lassen. »Es ist ganz niedlich, aber ein bisschen wie eine Hundehütte.«
»Das Haus nebenan ist reserviert für gelegentlichen Geschäftsbesuch. Der Buchhalter, Inspektoren, alle möglichen Leute. Die Direktoren aus der Hauptniederlassung wohnen in Hotelsuiten.« Jennifer bemerkte einen leicht verächtlichen Unterton in Rosies Stimme. »Sieh es dir von innen an. Es ist gemütlich, wenn auch nicht edel. Es gibt nur eine kleine Kochnische, denn Blair und du, ihr esst ja im Speisesaal.«
Jennifer schaute sich in dem offenen Ess-, Küchen- und Wohnbereich um. »Müssen wir grundsätzlich im Speisesaal des Hotels essen?« Die Vorstellung war deprimierend.
»Natürlich nicht. Ich selbst möchte mich oft genug zurückziehen und esse so oft wie möglich in meiner Suite. Blair und ich haben aber den Auftrag, anwesend zu sein, alles im Auge zu behalten und Kontakt mit den Gästen zu halten. Du kannst tun, was du willst. Als Angehörige der Hotelleitung kannst du den hoteleigenen Pool benutzen und die Bar besuchen; die Angestellten dürfen das nicht. Doch sie amüsieren sich auch in ihrem eigenen Bereich hervorragend.«
Jennifer öffnete die gläserne Schiebetür und trat ein. Ihre Welt für das folgende Jahr oder länger war zu diesem türkisfarbenen, mit weißem Farn gemusterten Versteck geschrumpft. Sie hoffte, dass Rosie keine Begeisterungsausbrüche erwartete.
Rosie steckte den Kopf ins Zimmer. »Ich lass dich jetzt allein, damit du dich frischmachen kannst. Ich wollte dir vorschlagen, schwimmen zu gehen, aber dein Gepäck ist ja noch nicht eingetroffen. Komm durch die Rezeption in mein Büro, dann können wir zusammen Tee trinken, wenn du Lust hast. Ich möchte dir die touristischen Aspekte der Anlage zeigen. Ich wohne in einer Suite dort drüben, damit ich immer gleich zur Stelle bin, wenn etwas Dramatisches passiert.«
»Danke, Rosie.« Jennifer fühlte sich seltsam orientierungslos; sie wünschte sich Blair an ihrer Seite. Sie warf ihre Handtasche aufs Bett und nahm die Sonnenbrille ab. Die Hütte, das Häuschen, die Wohnung, sie wusste nicht, wie sie es bezeichnen sollte, war unpersönlich und ausgesprochen kompakt. Schön und gut für einen Urlaub, aber als ihr Zuhause für ein Jahr? Wo konnte sie sich ihren privaten Bereich einrichten? Das Bad war groß und verfügte über Wanne und Dusche. Blairs Rasierzeug und Zahnbürste standen auf seiner Seite des Spiegelschranks. Die Reinigung übernahm offenbar der Hotelservice, denn alles war makellos sauber, die Handtücher waren frisch und ordentlich zusammengelegt. Blair war nachlässig; er ließ seine nassen Handtücher einfach auf dem Boden liegen.
Im Schlafzimmer öffnete sie den Schrank und sah Blairs Kleidung auf der einen Seite. Sie schob die Tür zu, und das Zimmer war wieder unpersönlich wie zuvor. Über dem Bett drehte sich langsam ein Deckenventilator. An der Wand hing ein gerahmtes Bild, das eine Schildkröte zeigte.
Im Wohnzimmer hingen zwei Drucke mit Unterwasserszenen von Korallen und farbenprächtigen Fischen. Jennifer wünschte sich, sie hätte ein paar eigene Lieblingsbilder vom ländlichen Australien mitgebracht. Wo sollte sie ihre Bücher unterbringen, den Laptop aufstellen, ihren Arbeitsplatz einrichten? Deprimiert entschied sie sich, zu duschen. Immer wenn sie verwirrt oder unglücklich war und versuchte, den Kopf freizubekommen, oder wenn sie auf Inspiration hoffte, stellte sie sich unter den scharfen Wasserstrahl der Dusche. Doch dieses Mal wirkte das Mittel nicht; ihre Einstellung zu ihrer Unterkunft blieb die gleiche. Und plötzlich, als sie das Gesicht dem Duschkopf entgegenhob, stellte sie fest, dass sie weinte und sich ihre Tränen mit dem Wasser mischten.
Als sie schließlich in der Rezeption eintraf, um sich mit Rosie zu treffen, fühlte sie sich besser, emotional gereinigt, wenn auch nicht optimistischer. Sie wurde einem fröhlichen jungen Mann und einer attraktiven jungen Frau hinter dem Empfangstresen vorgestellt. Sie trugen die Uniform der Angestellten, weiße Shorts und Hemden mit weißen Fischen, Korallen, Schildkröten oder Blumen auf türkisfarbenem Grund. Sie fühlte sich overdressed in ihrer Leinenhose und der Blusenjacke. Und ungesund.
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