Die Korallentaucherin
Transport spendiert. Sie schickt einen der Jungs mit dem Boot, um mich abzuholen. Wollen Sie mitkommen?«
»Ja, gern, und vielen Dank.«
Schon wieder komme ich mit einem Fremden im Boot nach Hause.
»Ich heiße Jennifer.«
»Tony Adams. Ich packe rasch meinen Kram zusammen.« Sie schlenderten zu der Stelle, wo er im Halbschatten der Felsen gepicknickt hatte.
Jennifer setzte sich, tauchte die wunden Füße in einen Gezeitentümpel und sah zu, wie Tony den Picknickkorb wieder einräumte. »Wie lange bleiben Sie hier, Tony? Machen Sie eine Rundreise in dieser Gegend?«
»Ich versuche, gerade nicht zu reisen, davon habe ich die Nase voll. Diese Insel erscheint mir wie ein netter, abgelegener Ort, um … einfach die Seele baumeln zu lassen. Branch und die anderen Ferieninseln sagen mir nicht zu.«
»Zu schick?«
Er grinste. »Zum Teil auch das. Ich habe einfach keine Lust auf Geselligkeit. Hier kann man für sich bleiben, es stört einen niemand. Sie werben ja mit der Ungestörtheit.« Er hielt inne. »Entschuldigen Sie, wenn ich mich eigenbrötlerisch oder langweilig anhöre. Ich wollte – brauchte einfach ein bisschen Ruhe.« Er schloss den Korb, faltete sein Handtuch zusammen und legte es darüber.
Jennifer war neugierig, wollte ihn aber nicht belästigen. Als sie beide nebeneinandersaßen und aufs Meer blickten, fragte sie: »Tut mir leid, wenn ich Sie in Ihrer Ruhe gestört habe.«
»Ach was. Ich war in mein Buch vertieft und dachte, ich würde halluzinieren, als ich diese, nun ja, Märchenfee im roten Badeanzug über den Strand tanzen sah.«
Beide lachten. »Ich glaube, ich habe mir die Füße nicht nur aufgeschrammt, sondern auch noch verbrannt«, sagte Jennifer kleinlaut.
»Besorgen Sie sich den Erste-Hilfe-Kasten von Susie und behandeln Sie Ihre Füße. Schnitte, die man sich an den Korallen zuzieht, entzünden sich leicht. Und was lockt Sie zu einem Leben am schönen Barrier Reef? Arbeiten Sie auf Branch?«
»Nein. Aber mein Mann. Ich muss mich noch einleben, bin noch nicht lange hier. Er ist der stellvertretende Geschäftsführer.«
»Und Sie? Wie füllen Sie Ihre Tage aus? Vermutlich ist man das Schwimmen, Schnorcheln, Tauchen irgendwann einfach leid. Langweilen Sie sich nicht?«
Jennifer verspürte den Wunsch, diesem ruhigen Mann mit der sanften Stimme ihre Gefühle anzuvertrauen. Eine Gelassenheit ging von ihm aus, die sie sich nicht erklären konnte. Als ob er geduldig auf etwas wartete. Vielleicht war es auch eher eine Art Wachsamkeit, die sich unter der scheinbar lässigen und entspannten Oberfläche verbarg. »Langeweile ist es, glaube ich, nicht. Trotz der Tatsache, dass ich Wassersport nicht mag. Ich mag das Meer nicht. Es ist eher dieses Gefühl, in der Falle zu sitzen. Entwurzelt zu sein. Ich wollte mein Studium fortsetzen, als Blair diesen Job bekam.«
»Wessen Karriere steht an erster Stelle, hm? Was haben Sie denn studiert?«
»Ich war auf Umweltwissenschaften umgestiegen. Aus keinem besonderen Grund, nur eben aus Interesse. Ich habe während des Studiums gearbeitet und fühle mich jetzt ein bisschen haltlos. Und Sie? Arbeiten Sie?« Seine Ausstrahlung war keineswegs die eines Mannes, der Urlaub hat oder sich eine Verschnaufpause von seiner täglichen Routine gönnt. Rastlosigkeit, war es das, was sie in ihm spürte?
Er antwortete zunächst nicht. Ein Schwarm Rußseeschwalben flog vorbei und landete zwischen den graugrünen Grasbüscheln hinter ihnen. »Nein. Ich habe spielfrei, wie die Schauspieler sagen, ruhe mich aus.« Dann, als wollte er die Unhöflichkeit seiner nichtssagenden Antwort wiedergutmachen, fügte er hastig hinzu: »Mein letzter Auftrag war ziemlich stressig. Dauerte länger als erwartet, und ich war an einem Punkt angelangt, wo ich nicht mehr konnte.«
Stress-Urlaub. Er wirkt gar nicht so. Er sieht so … tüchtig aus. Irgendwie stark.
»Das tritt heutzutage ziemlich häufig auf. Nun ja, es wird eher anerkannt, schätze ich. Mein Onkel Don hat mir mal erzählt, Kriegsveteranen kamen seinerzeit als psychologische und emotionale Wracks zurück und sollten weitermachen, als wäre nie etwas geschehen. Vermutlich konnten sich die Menschen in der Heimat nicht vorstellen, was sie durchgemacht hatten. Inzwischen entsteht Stress offenbar durch den Erfolgsdruck, Karriere machen zu müssen …« Sie seufzte, dachte an Blair. »Wofür, frage ich mich manchmal. Andere Dinge im Leben sind viel wichtiger.« Sie dachte an ihre Mutter, und sie dachte an ihr Kind und hatte
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