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Die Korallentaucherin

Die Korallentaucherin

Titel: Die Korallentaucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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konzentrieren. Falls ihr ein unangenehmer oder schmerzhafter Gedanke kam, ließ sie ihn fallen und beschäftigte sich nicht weiter damit. Sie fühlte sich wie in einem Schwebezustand, während die Tage vergingen, und wusste nicht recht, worauf sie wartete. Diesen Zustand schrieb sie der Schwangerschaft zu, da sie ihre Energie in erster Linie auf diese Zeit der Reifung verwenden musste. Und wenn sich der Gedanke aufdrängte –
du kannst doch nicht neun Monate in diesem Zustand verbringen
 –, dann ließ sie ihn fallen.
    Die Ferienanlage befand sich hinter ihr, außer Sichtweite. Das weiche Frühlicht wurde härter, als die Sonne ihre volle Kraft entwickelte. Jennifers Fußspuren waren die ersten im Sand. Doch vor ihr im blendend grellen Licht von Sonne und Meer sah sie Gestalten am Rand des Riffs. Eine von ihnen zog ein kleines Gummiboot, und es schien, wie sie sah, als sie die Augen mit der Hand schirmte, mit Plastikeimern voll beladen zu sein. Die Gruppe stand knietief im Wasser, einige zu zweit, andere über ein Netz gebeugt. Eine der Gestalten watete jetzt ans Ufer.
    Jennifer setzte sich in den Sand, um zuzusehen. Und dann erkannte sie Professor Masters.
    Sie winkte. »Hallo, Mac!«
    Er salutierte, lief zu ihr und setzte sich neben sie. Er trug seinen verbeulten Lederhut, Shorts und ein Greenpeace-T-Shirt und hatte eine kleine Unterwasserkamera und eine Schwimmbrille bei sich. »Ist das nicht die schönste Zeit des Tages?«
    »Ja. Wenngleich ich auf die Sonnenuntergänge auch nicht verzichten möchte. Was macht ihr da drüben?«
    »Wir sammeln Proben. Fotografieren sie an Ort und Stelle und geben sie dann in die Eimer. Sie wandern zur Beobachtung und Überwachung in unsere Tanks. Irgendwann werden sie dort wieder ausgesetzt, wo sie hergekommen sind.«
    »Die da drüben, sind das Studenten?«
    »Ja, die meisten beschäftigen sich mit der Ökologie des Riffs. Kirsty forscht über die Reproduktion von Korallen, Gary über die Auswirkungen von Umweltverschmutzung auf das Riffsystem und Rudi über Symbiose, das heißt, wie gewisse Fische und andere Organismen da draußen zu gegenseitigem Nutzen zusammenleben.«
    »Wie dieser kleine Clownfisch, der in einer Anemone lebt?«
    »Diese Anemone hat Giftzellen, die für andere Fische und Räuber tödlich sind, doch dieser Fisch ist dagegen immun. Eine perfekte Beziehung.«
    »Man fragt sich, wie sie sich gefunden haben.«
    »Du meinst, ob es eine von der Natur vorgesehene Partnerschaft ist, die sich über Äonen der Evolution hinweg perfektioniert hat? Oder sind zahllose Fische gestorben, bis sie schließlich eine Strategie und ein System zum Überleben entwickelten? Da unten herrscht ein System mit der Devise: fressen oder gefressen werden.«
    »Sind es solche Fragen, mit denen du dich beschäftigst?«, wollte Jennifer wissen.
    »Unter anderem«, antwortete er leichthin. »Zum Beispiel auch: Was schützt Korallen und andere Meereslebewesen bei Ebbe vor einem Sonnenbrand? Der Tidenhub beträgt hier beinahe zwei Meter, und dieser Sonnenschutz könnte uns zur Vorbeugung und Heilung von menschlichem Hautkrebs nützlich sein. Die Natur ist wie ein großes Lehrbuch; wir müssen nur den Code knacken, um Antworten zu finden, die uns in der Menschenwelt weiterhelfen.«
    »Und welche Zukunft hat das Riff?«
    »Unsere Arbeit besteht hauptsächlich darin, Antworten zu finden und ein Bewusstsein dafür zu wecken, was mit dem Riff geschieht. 1998 wurden dreißig Prozent der Riffe der Welt durch einen Anstieg der Meerestemperatur zerstört. Derartiges werden wir in ernsterer Form noch häufiger erleben, und das wird eine Katastrophe sein. Bei diesem Tempo gibt es das Riff in dreißig bis fünfzig Jahren nicht mehr.«
    »Himmel, das ist eine faszinierende Arbeit«, sagte Jennifer andächtig und fügte hinzu: »Aber ich höre meine Mutter, die sagen würde, auf einer tropischen Ferieninsel herumzuplanschen wäre doch eine ziemlich angenehme Beschäftigung. Sie hat nie verstanden, dass ich auf die Uni wollte. Für Wissenschaft oder Forschung hat sie keine Zeit. Ihrer Meinung nach darf Arbeit kein Vergnügen machen.« Jennifer seufzte.
    »Sie hat die falschen Bücher gelesen. Und, wie geht es dir? Du hast uns bisher nicht wieder besucht. Überhaupt, komm doch jetzt gleich mit. Wir gehen zurück, um zu frühstücken«, sagte er, sprang auf und zog Jennifer auf die Füße.
    Das Interesse der Leute an ihr tat ihr gut. »Ich sterbe vor Hunger.« Sie wollte schon darauf hinweisen, dass sie nur

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