Die Kornmuhme (German Edition)
alles zusammen, was er finden konnte und das ihm nützlich
erschien. Dann streifte er seinen Mantel über und sorgte dafür, dass niemand
das blaue Leuchten der Blume unter seinen Kleidern sehen konnte. Es war
inzwischen sehr viel stärker geworden, und wenn man genau hinsah, erahnte man
sogar noch durch den Stoff seines Mantels ein sanftes Schimmern. Er zog seine Kapuze
tief ins Gesicht, öffnete die Türe der Schmiede einen Spalt breit und spähte
nach draußen.
Es war sehr früh am Morgen, und
nur wenige Händler waren schon unterwegs in die Stadt. Die anderen lagen noch
in ihren Erdlöchern, oder auf dem Boden des kalten Tunnels, oft nur dürftig mit
dünnen Decken gewärmt. Viele arme Teufel hatten kein Geld für eine nächtliche
Unterkunft und schliefen so, frierend und unter den Augen aller Vorbeieilenden,
Nacht für Nacht aufs Neue auf den nächsten Tag hoffend.
So wurde Irrgrim, der Mörder,
nicht gesehen, als er die Schmiede verließ und leise zwischen den Schlafenden
von dannen schritt. Als später Thoralf und sein Bruder tot aufgefunden wurden,
blieb für alle ein Rätsel, was in dieser Nacht geschehen war.
Als er außer Sichtweite kam,
begann er schneller zu werden. Er hetzte die Gänge entlang, weg von
Swartalfheim, weg von den Anderen, die ihm gefährlich werden konnten. Sicherer
war es für ihn an der Oberfläche. Dort würde er keinem Zwerg begegnen. Niemand
würde ihm Fragen stellen, niemand würde ihn sehen. Je steiler die Gänge nach
oben führten, desto weniger Erdlinge kamen ihm entgegen, und schon bald war er
ganz allein. Er lief noch etwa eine Stunde. Die Zahl der Lampen an den Wänden
nahm langsam ab, und es wurde dunkler. Bald war es stockduster, und er musste
sich tastend voran bewegen.
Dann endlich sah er mattes
Morgenlicht in der Ferne durch ein Erdloch hereindringen. Nicht weit von ihm
öffnete sich der Gang zur Oberfläche, und kühle Waldluft strömte zu ihm herab.
Als er aus der Höhle unterhalb einer großen Wurzel heraustrat, nahm er einen
tiefen Atemzug. Ganz anders roch es hier oben.
Obwohl die Sonne schon aufgegangen
war, hatte der Mond noch nicht ganz seinen Platz verlassen und hing blass am
Firmament. Einen Moment lang zögerte er, hinaus ins Freie zu treten, denn wer
wusste schon, ob nicht auf irgend einem der vielen Baumwipfel über ihm ein
Adler saß, der nur darauf wartete, einen Zwerg als Morgenmahl zu verspeisen.
Die Blume jedoch sprach ihm Mut
zu. Mit ihr fühlte er sich sicher. Er wusste durch sie auf magische Weise, dass
er nicht in Gefahr war. Sie hatte eine unglaubliche Kraft, und er fühlte, wie
sie stärker und stärker wurde. Eine mächtige Seele hatte er sich da an sein
Herz geholt, eine Seele, die so machtvoll war, dass er es mit nichts
vergleichen konnte. In manchen Momenten ruhte sie. Dann hatte sein Geist Raum
zum Nachdenken. Was hatte sie mit ihm vor? Wollte er das alles wirklich? Er
wusste darauf keine Antwort. Sein vorheriges Leben kam ihm wie die Erinnerung
an einen blassen, trostlosen Traum vor. Nie mehr wollte er ohne sie sein und so
tat er, was sie von ihm verlangte.
Und was sie verlangte, das spürte
er instinktiv. So wie jetzt, da er wusste, dass er Richtung Westen laufen
sollte. Er ging der aufgehenden Sonne entgegen, ohne Angst und mit dem sicheren
Wissen, dass ihre Magie ihn schützen würde.
13
Als Ranja erwachte, lag sie noch
lange bewegungslos in der dämmrigen Kammer. Sie fühlte sich elend und war nass
geschwitzt. Sie spürte den Schmerz nicht nur in ihrer Seele. In ihrem Körper
brannte immer noch ein heißes Feuer der Trauer und des Entsetzens. Sie hatte
wirr geträumt und immer wieder ihre sterbenden Eltern gesehen. Nachts war sie
schreiend wie in Fieberträumen aufgewacht und dann wieder in kaum erholsamen
Schlaf gefallen. Nun lag Aron leise atmend neben ihr.
Er hatte sie zur Ähnl gebracht,
und sie hatte lange geweint im Schoß der Greisin, die vielleicht nicht einmal
wirklich begriff, was passiert war, und vor allem, warum Reinulf, Lioba und David
tot waren. Ranja hatte kein Wort herausgebracht, und Aron hatte nur etwas von
einem Feuer gestottert, und war dann hinaus zu den beiden Toten gegangen, um
sie zu begraben. Die halbe Nacht hatte es gedauert, die Gräber auszuheben und
die Körper zu begraben und als er zurück zum Haus der Ähnl gekommen war und
sich neben die schweißnasse Ranja gelegt hatte, war er augenblicklich
eingeschlafen.
Noch während er wegdämmerte,
gewahrte er ein Prickeln auf seiner Zunge.
Weitere Kostenlose Bücher