Die Kornmuhme (German Edition)
und
Trauer prallten einfach an einer Mauer des Grauens ab, die ihr Herz umschloss
und ihren Verstand vor dem Wahnsinn schützte, den sie mitansehen musste.
Sie hatte noch ein Stöhnen gehört.
Ein leises Ausatmen ihrer Eltern, und sie hatte verzweifelt auf ein Einatmen
gewartet. Doch als sich die Finsternis von ihnen gehoben hatte, waren sie wie
verkohlt. Grauschwarz und leblos. Nun war sie allein. Ihr Bruder und ihre
Eltern waren nicht mehr. Sie würde hier einfach sterben. So dachte sie. Die
Nacht war zu ihr hereingekrochen und hatte nicht nur ihre Eltern mitgenommen,
sondern auch das letzte bisschen Hoffnung das sie noch in sich getragen hatte.
Sie war in eine unendliche, innere Dunkelheit gefallen und erinnerte sich nicht
mehr daran, dass irgendwann auch wieder die Sonne aufgehen und durch die Läden
dieser Hütte scheinen würde. Irgendwann würde diese alptraumhafte Szene in die
Realität zurückgeholt werden.
Nur entfernt hörte sie knirschende
Schritte im Schnee, die sich der Hütte näherten. Jemand kam! Ranjas Gedanken
flossen zäh wie Teer und sie hoffte fast, dass nun die leibhaftige Gryla
zurückkam, um auch sie zu holen. Aber es war nicht die Gryla.
Es klopfte und Arons Rufe
sickerten langsam in ihr Bewusstsein. Sie hätte ewig so gesessen, wenn Aron
nicht irgendwann einfach die Tür aufgestoßen hätte.
>>Reinulf? <<, hörte
sie nun ganz deutlich seine Stimme im Raum, als er den Kopf herein steckte.
>>Entschuldigt die späte Störung, aber…<<
Er stockte, dann erstarrte Aron.
In der Dunkelheit konnte er zunächst nicht wirklich etwas erkennen, aber
irgendetwas ließ ihn alarmiert verharren. Sicherlich kam es ihm seltsam vor,
dass es schon so früh dunkel war hier drinnen. Aron kannte die Gewohnheiten der
Familie und wusste, dass Reinulf bis weit nach Mitternacht noch an der
Feuerstelle saß und sein Werkzeug reparierte oder neues herstellte.
Erst jetzt kam ein erster Gedanke
in Ranja auf, dass es der Geruch sein musste, der Aron alarmiert hatte. Auf
einmal nahm auch sie ihn wahr. Es roch, nein, es stank nach Schwefel und
verbrannter Haut.
Die Lähmung löste sich langsam aus
ihren Gliedern, als Aron vorsichtig und in gebückter Haltung auf sie zu
schlich. Die Art wie er den Raum betrat, verriet sein Entsetzen.
>>Ranja! <<, keuchte
er und schlich langsam auf sie zu, wobei er versuchte einen möglichst großen
Bogen um Reinulf und Lioba zu machen. Als er sich zu ihr herab beugte und sie
fest an den Schultern packte, stieß sie einen lauten Schrei aus.
>>Ranja, was ist
passiert?!<<, schrie er in ihr Schreien hinein und schüttelte sie.
Sie schaute ihn mit leeren Augen
an. Ihr Blick ging durch ihn hindurch, so dass er begriff, dass ihr Verstand
sich im hintersten Winkel ihres Bewusstseins verkrochen hatte, um sich vor
diesem grausamen Anblick zu schützen. Er würde von ihr keine Antwort bekommen,
also tastete er im Halbdunkel nach etwas Reisig, kniete vor der Feuerstelle
nieder, legte es oben auf und pustete in die Glut, um wieder mehr Licht in die
Hütte zu bringen. Da erwachte etwas in Ranja.
>>Nein! <<, kreischte
sie, als das Reisig zu knistern begann, und fiel rücklings von ihrem Hocker.
Schnell rollte sie sich ab, versuchte taumelnd auf die Beine zu kommen, drückte
sich möglichst nah an der Wand entlang, um so viel Distanz wie möglich zwischen
sich und die gespenstischen Überreste ihrer Eltern zu bringen und war mit ein
paar weiteren Sätzen aus der Türe.
Knisternd schlugen erste Flammen
auf, und Aron gab einen entsetzten Schrei von sich, als er in die starr
aufgerissenen, gebrochenen Augen von Reinulf und Lioba blickte und er ihre
verkohlte Haut sah. Er hatte genug gesehen und krabbelte nun keuchend und so
schnell er konnte rückwärts auf allen Vieren Richtung Ausgang. Draußen kam er
auf die Beine und rannte hinter Ranja her, die schwankend in Richtung Wald
lief.
<erneut und hielt sie an der Schulter fest.
>>Wo willst du hin? <<
Sie zeigte auf den Waldrand. Zu
der Hex‘ wollte sie, auch geholt werden von ihr. Das Mädchen schien wie von
Sinnen. Er holte sie ein, hielt ihre Handgelenke fest und zwang sie, ihm in die
Augen zu schauen. Als er merkte, dass sie immer wieder abschweifte, schlug er
ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.
Mit einem Mal klärte sich ihr
Blick, und sie schaute Aron entsetzt und überrascht zugleich an. Dann liefen
Tränen über ihre Wangen und sie verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter. Lange
standen sie so da, und Ranja
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