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Die Kornmuhme (German Edition)

Die Kornmuhme (German Edition)

Titel: Die Kornmuhme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H. Schreiber
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schon auf seltsame Ideen.
    Wer immer dieses Haus gebaut
hatte, er hätte gut daran getan, die Innenseite mit Lehm zu verputzen. Hier und
da waren Verzierungen in die Stützpfeiler geschnitzt. Vor ewigen Zeiten schon
waren aus den alten, hölzernen Stützkeilen kunstvolle Figuren herausgetrieben
worden. Sie hockten schräg zwischen Pfeiler und Dachbalken. Auf ihren grob
gehauenen Gesichtern hatte der Schnitzmeister die vermeintliche Mühsal
verbildlicht, die andeuten sollte, dass sie die ganze Last des Daches auf ihren
Schultern zu tragen hatten. Doch nicht alle schauten grimmig. Eine lächelte.
    Wieder ein Huschen…
    Sie blickte auf und wandte ihr
Gesicht dann ein drittes Mal ab … und doch! Da war es wieder. Jetzt war sie
sich ganz sicher! Hinzu kam nun auch noch ein leises Rascheln, was ihr die
erschreckende Gewissheit gab, dass ihr anscheinend nicht nur ein Sinnesorgan
einen Streich zu spielen versuchte. Sie drehte sich entsetzt um und versuchte
nicht in Panik zu geraten. War es die Figur gewesen, die sich bewegt hatte?
    Eine kleine, dämonenhafte Gestalt
klebte mit dem Rücken unter dem Balken. Ranja hatte als Kind oft zu ihr
hochgeschaut und sich gewünscht, sie herunterholen zu können, um damit zu
spielen, da sie die Einzige war, die trotz ihrer Mühsal lächelte. Nun jagte sie
ihr zum ersten Mal in ihrem Leben eine Heidenangst ein, und das sonst so
fröhliche Grinsen kam ihr triumphierend und boshaft vor.
    Der Körper war der eines Satyrs,
mit Pferdefüßen und einem Schwanz. Ab der Hüfte jedoch begann ein
menschenähnlicher Oberkörper. Etwa eine Handspanne groß war die Figur. Die
tanzenden Schatten schienen ihr Leben einzuhauchen, und Ranja verstand, dass
sie einer optischen Täuschung aufgesessen war.
    Als sie sich gerade wieder
hinsetzen wollte, geschah das Unfassbare. Die Figur drehte mit einem leisen
Knirschen den Kopf in ihre Richtung und verhöhnte sie mit einem breiten
Grinsen. Ranja erstarrte für einen Moment, eine Hitzewelle durchflutete ihren
Körper, und gleichzeitig brach sie in kalten Schweiß aus. Dann konnte sie sich
aus ihrer Lähmung befreien und taumelnd zur Türe hinaus retten. Mit einem Knall
schlug sie diese hinter sich zu und rannte bis zum anderen Ende des Flurs,
ängstlich die Deckenbalken absuchend, ob sich dort oben noch weitere Unholde
befanden.
    Sie erinnerte sich, eine ähnliche
Wandschnitzerei in der Speisekammer gesehen zu haben, und eine in ihrem eigenen
Zimmer. Diese würde sie jetzt natürlich wohlweislich nicht aufsuchen. Sie blieb
stehen und dachte kurz nach.
    Wieder drangen Geräusche aus dem
Zimmer der Tante, und ein beruhigender Lichtschimmer fiel unter der Türe
hindurch. Als Ranja sie aufstieß und ein paar Schritte in den Raum hinein ging,
überkam sie sofort eine tiefe Beruhigung. Hier war ihre Tante, und auch wenn sie
nur eine alte Greisin war, die sie im Notfall niemals hätte verteidigen können,
so beruhigte sie nun doch ihre bloße Anwesenheit.
    Ihre Tante stand an der
gegenüberliegenden Wand und schaute nach draußen. Zumindest dachte Ranja dies
zunächst. Als sie näher kam bemerkte sie jedoch, dass Mara irgendetwas an den
Wänden neben der Fensterbank nestelte und leise vor sich hin murmelte. Ranja
trat näher, was die Alte nicht hörte, da sie ja taub war. Als Ranja ihr so nahe
gekommen war, dass sie ihr über die Schulter blicken konnte, erstarrte sie vor
Schreck.
    Ihre Tante hatte eine große
Spindel in der Hand und drückte mit einer Stricknadel dicke graue Wolle in die
Ritzen zwischen das Holz. Dabei murmelte sie unaufhörlich etwas, das Ranja beim
besten Willen nicht verstand. Ihren seltsam drängenden Tonfall und die
merkwürdig fremden Worte, die sie sprach, alarmierten sie jedoch. Tief in ihr
schrie eine mahnende Stimme, dass sie das Weite suchen sollte, und dass hier
etwas nicht stimmen konnte.
    Sie erinnerte sich daran, dass sie
die Tante am Mittag schon einmal mit dieser Spindel gesehen hatte, als diese
vor dem Feuer gesessen und gestrickt hatte. Und nun begann die schaurige
Gewissheit in ihr aufzusteigen, dass irgendetwas mit ihrer Tante geschehen war.
    Sie hatte sie von hinten aus dem
Lehnstuhl heraus beobachtet, und es hatte so ausgesehen, als wenn die Alte sich
ab und zu etwas in den Mund stopfen würde. Ranja hatte im ersten Augenblick das
Gefühl gehabt, dass es die Wolle war, die sie da aß. Dann aber hatte sie den Gedanken
weggewischt und sich innerlich für ihre seltsamen Vorstellungen gescholten.
Ihre Augen würden sie sicherlich

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