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Die Kornmuhme (German Edition)

Die Kornmuhme (German Edition)

Titel: Die Kornmuhme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H. Schreiber
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hysterisch
gackernden Frauen, bis sie von ihm abließen und blutend zu Boden gingen. Und
dann - Schlag Mitternacht – verstummte plötzlich alles mit einem Mal. Tausende
Kehlen erstarben. Die Trommler verharrten alle gleichzeitig in ihren
Bewegungen, und von einer Sekunde zur anderen reckten alle Hoxberger
gleichzeitig mit einer einzigen, unnatürlich schnellen und völlig synchronen
Bewegung die Hälse - mit weit aufgerissenen Augen und offenstehenden Mündern.
    Einige Sekunden lang war es ruhig,
und die Massen starrten stumm nach oben. Aron zwang sich nach unten zu schauen.
Er hatte den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen, sobald er die Turmuhr
gehört hatte. Er bekreuzigte sich unaufhörlich und flehte den Herrn an, ihn zu
beschützen –
    >> Christe, Christe,
    Mensch geboren,
    Gottes Lamm - Mariens Sohn,
    dorngekrönet,
hingeopfert…<< 
    Ein gewaltiges, ohrenbetäubendes
Brausen und Rauschen explodierte am Himmel, zerriss seine Worte und erfüllte
unter Donnern und Beben das gesamte Firmament über Hoxberg.
    Als Aron seine Augen wieder
öffnete blickte er direkt in Sonnwins Gesicht. Der Zwerg befand sich zu seinen
Füßen. Sonnwins Augen waren geweitet, und er starrte mit offenem Mund und mit
dem Finger in die Luft zeigend, an Aron vorbei. Sein Gesicht war leichenblass
geworden, und im hellen Mondschein sah es fast aus, als wäre er vollkommen
ergraut.
    Aron spürte, wie ein übermächtiges
Verlangen in ihm aufstieg, so als würde eine fremde Macht versuchen, seinen
Kopf nach oben zu ziehen. Er sah um seine Füße herum und auf den Körpern der
Umstehenden die wandernden, schemenhaften Schatten der Geister tanzen, die über
ihm vor dem riesenhaften Mond vorüber zogen. Er schrie, kniff die Lieder wieder
zusammen, fiel auf die Knie und legte schützend die Hände über seine und
Sonnwins Augen. Er kämpfte verzweifelt gegen den drängenden Wunsch an, nach
oben zu schauen. Der unfassbare Sog, den der Zug auf seine Seele hatte, ließ
heißen Schrecken in seine Glieder fahren. Schnell begann er wieder zu beten, um
sich und Sonnwin zu bezwingen.
    >>.. .durch deine Unschuld,
Schmach und Marter,
    durch dein Blut und Wunden rot
    tröste uns im bittern Scheiden,
    erhöre uns in Todesnot…<<
    Der Sog wurde noch einmal stärker,
und das tosende Grollen am Himmel noch einmal ohrenbetäubender, aber Aron
merkte nun zu seiner Erleichterung, wie sich die schützende Hand des Herrn um
seinen Geist legte. Er spürte Sonnwin unter sich mit aller Macht gegen seinen
festen Griff ankämpfen. Der Zwerg wollte um alles in der Welt weiter in den
Himmel schauen, biss ihn sogar, und seine kleinen spitzen Fingernägel krallten
sich schmerzhaft in Arons Hand, bis sie blutete.
    Aron jedoch ließ nicht von ihm ab.
Sein Griff war stark wie ein Schraubstock, und er betete auch für Sonnwins Seele,
dass diese noch nicht verloren sei. Doch es war zu spät. Der Zwerg hatte den
grausigen Zug nur wenige Sekunden angeblickt, nur wenige Sekunden von etwas
gesehen, was kein Mund in Worte fassen konnte. Und doch war ein Teil seiner
Seele schon mit den Toten gezogen und hatte einen veränderten Sonnwin
zurückgelassen.
    Mit einem Mal spürte Aron, wie
Körper übereinander fielen - wie alle Umstehenden, ja, wie förmlich ganz
Hoxberg marionettenhaft in sich zusammenbrach. Mehrere Männer, die direkt neben
ihnen gestanden hatten, fielen nun schwer wie nasse Sandsäcke auf Aron, der
sich mit einem entsetzten Keuchen schützend über Sonnwin bückte, und sich gegen
den Druck von oben stemmte.
    Die Leiber der Hoxberger lagen nun
auf dem Pflaster der Straßen. Und so schnell wie das Brausen aufgetaucht war,
so schnell verschwand es nun, rauschte in südlicher Richtung davon und nahm die
Seelen der Massen mit auf die Reise um die Welt.
     
    Ganz Hoxberg war nun still
geworden, und Tausende lagen wie tot in den Gassen. Aron schrie in die Stille
hinein, wie um sich zu beweisen, dass er selbst noch da war. Dann drückte er
mit aller Kraft gegen die erschlafften Körper, die auf ihnen lagen und sie zu
ersticken drohten. Er rappelte sich hoch, kam etwas wacklig auf die Beine und
blickte dann sofort zu Sonnwin herab.
    Der Zwerg lag zusammengerollt auf
dem Kopfsteinpflaster und hielt sich die Hände über den Kopf. Arons Schädel
brummte, und in seinen Ohren konnte er das Blut rausche hören, aber er lebte!
Und er hatte wiederstanden! Als er an Sonnwins Schulter rüttelte, und den
kleinen kauernden Mann mit sanfter Gewalt auf den Rücken drehte, lag dieser

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