Die Krankenschwester
sagte Elfie nur und streifte den alten Bademantel völlig ab.
Sie zog sich um. Die frische Wäsche hätte zu einer Oma gepaßt, aber nicht zu einer dreißigjährigen Frau. Aber Dessous gab es im Knast nicht, und der sollte für Elfie Gazzow aufgrund der Indizienbeweise für die nächsten zwanzig Jahre zum Zuhause werden.
Angeklagt war die Krankenschwester Elfie Gazzow wegen dreifachen Mordes. Begangen an Patienten, für deren Wohl sie zu sorgen hatte.
Den Männern waren die Kehlen mit einem scharfen Messer durchgeschnitten worden, und man hatte schließlich Elfie Gazzow als Täterin überführt und in den Knast gesteckt.
Der war kein Krankenhaus, denn dort hätte man sie besser gebrauchen können. Elfie war ein Phänomen, sie war berühmt und als Frau mit den heilenden Händen im gesamten Land ein Begriff. Deshalb hatte ihr Prozeß auch so hohe Wellen geschlagen. Es hatte viele Menschen gegeben, die auf ihrer Seite standen, auch jetzt noch, denn sie war ein wissenschaftliches Phänomen, wie einmal jemand zu ihr gesagt hatte.
Das war nicht irgend jemand gewesen, sondern ein bekannter Professor, der sich über Elfies Heilungen nur hatte wundern können.
Zwei Wochen hatte sie schon in der Zelle verbringen müssen. Eine Woche davon mit einer anderen Gefangenen, einer älteren Frau, die nach zehn Jahren entlassen worden war. Völlig verbraucht, am Rande ihrer Kraft. Sie würde sich für den Rest ihres Lebens im normalen Leben nicht mehr zurechtfinden. Elfie würde es nicht so ergehen, das hatte sie sich fest vorgenommen, und das wußte sie auch.
Natürlich war auch im Knast bekannt, wer hier einsaß. Vom obersten Chef bis hin zur jüngsten Gefangenen hatte es sich herumgesprochen, und es gab zahlreiche Frauen, die engeren Kontakt zu Elfie gesucht hatten, um sich von ihr ihre Wehwehchen heilen zu lassen. Doch Elfie hatte sie allesamt abblitzen lassen. Sie wollte allein bleiben und in Ruhe gelassen werden, und sie war davon überzeugt, daß ihre Zeit kommen würde, so oder so.
Über die Unterwäsche hatte sie das graublaue Kittelkleid gestreift. Wie eine Putze sehe ich darin aus, dachte sie, als sie die obersten Knöpfe an der Leiste offen ließ, damit das Kleid nicht zu sehr spannte. In den Spiegel wollte sie nicht schauen, da ärgerte sie sich noch mehr, deshalb zog sie den Vorhang vor das Waschbecken, neben dem auch die Toilettenschüssel stand.
Heute ist Freitag, dachte sie. Und damit habe ich auch meine zweite Woche hier beendet. Es wird Zeit, daß etwas geschieht. Mehr als einen Monat wollte sie es in der Zelle nicht aushalten. Sie schaute zum Fenster, sah die Gitter, auch den bunten Vorhang, der aber war zurückgeschoben. Ihre ehemalige Zellengenossin hatte ihn genäht und angebracht. Elfie konnte auf diese bürgerlichen Erinnerungen gut und gerne verzichten. Sie brauchte auch keine Bilder irgendwelcher Menschen, die ihr nahestanden. Sie war sich selbst genug, und sie hing gern ihren Gedanken nach. Das Alleinsein schreckte sie nicht. Es waren nur die Mauern und das vergitterte Fenster, das sie nicht mochte, aber das war ja nicht für ewig.
Etwas war anders – heute zumindest. Elfie spürte es genau. In ihrem Körper steckte die Unruhe. Das Kribbeln war wie eine Botschaft, und es hörte auch nicht auf. Es begann in den Füßen, stieg höher, wanderte bis zum Kopf, wo es sogar ihre Gedanken beeinflußte. Sie lächelte, aber sie fletschte dabei die Zähne, und so wirkte das Lächeln mehr wie das Grinsen eines Raubtiers, das kurz davor stand, Beute zu reißen.
Sie ging hin und her.
Die Ausmaße der Zelle kannte sie genau. In einer Woche lernt man jeden Winkel kennen, wenn man allein ist. Außerdem hatte ihre Mitinsassin alles mitgenommen, was ihr gehörte. Elfie selbst wollte sich in diesen Raum nichts Persönliches stellen. Es war doch nur für eine Übergangszeit.
Vor der Tür blieb sie stehen. Die Klappe in Augenhöhe war von der anderen Seite her zugeschoben worden.
Elfie Gazzow lauschte. Das hatte sie bisher selten getan. Es geschah auch nicht aus einem Gefühl der Neugierde heraus, sondern mehr aus einem Wissen, daß sich für sie einiges ändern würde.
Heute schon…
Noch war nichts Besonderes zu hören. Außerdem klangen die Laute sehr dumpf, aber die unterschiedlichen Schrittfolgen konnte sie schon auseinanderhalten. Sie wußte genau, wann eine Wärterin an ihrer Zellentür vorbeiging oder wenn sie von einer Mitgefangenen passiert wurde.
Jemand lachte schrill.
Das war Wanda, die Verrückte.
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