Die Kreuzfahrerin
sei, da sie nicht noch weiter laufen müsse. Ursula ließ sie einfach stehen und eilte zu dem Wagen.
Ruth und Lothar freuten sich sichtlich, sie zu sehen. Schnell war erzählt, wie Ursula in die Stadt gekommen war und auch schon eine Unterkunft gefunden hatte. Sie stellte Hilde ihren Freunden vor und fragte nach Karl.
„Ach, der ist bei seinen Gäulen, und wir werden ihn erst wiedersehen, wenn ich selber hinausgehe und ihn hole, damit wir fahren können.“ Lothar verstand die Abneigung seines Bruders gegen die Städte nicht. Ursula hatte da mehr mit Karl gemein. Noch immer fiel es ihr schwer, zwischen all den Stimmen und Geräuschen diejenigen herauszufiltern, die ihr galten. Aber sie merkte schon, dass sich in ihren Ohren eine Art Gewöhnung breitmachte. Als sie einen Augenblick darauf achtete, hörte sie zwischen all dem Treiben noch ein anderes Geräusch. Neugierig reckte sie den Hals, um herauszufinden, wo es herkam. Magisch angezogen ließ sie Ruth und Hilde einfach stehen und bewegte sich in die von ihr vermutete Richtung. Sie drängelte sich durch die Leute hindurch, und richtig, es wurde lauter. Es war ein Pfeifen, wie von Vögeln, aber nur eben ähnlich, nicht gleich. Schließlich gelangte sie an einen Wagen, vor dem viele Leute sich versammelt hatten. Sie drängelte sich nach vorne.
Auf einer Art Podest standen zwei Männer, der eine blies in ein kleines, kugeliges Etwas, das er sich vor den Mund hielt, und der andere in einen Stock, der mit Löchern versehen war, über die seine Finger huschten. Auch das Ding, in das der andere blies, hatte Löcher, die der Mann mit Hilfe seiner Finger verschloss und wieder öffnete. Beide erzeugten so ein Pfeifen in verschiedenen Höhen, diese Töne passten aber gut zueinander, fügten sich zu einer Reihe und überlappten einander wohlklingend. Zwischen den beiden Männern hüpfte eine Frau mit einer kleinen Trommel, auf die sie unablässig einschlug, im gleichen Rhythmus, wie sie ihre Füße hob und sich im Kreise drehte. Noch nie hatte Ursula dergleichen gesehen und gehört. Ja, Ludger, Arnulf und auch der Bauer konnten laut pfeifen, um die Rinder zu rufen, und Ute oder Ingrid hatten den Kleinen manchmal zur Beruhigung etwas ins Ohr gesummt, aber solche Pfeifen waren ihr neu. Und es kam noch ärger. Der eine Mann legte den Stock weg und hob etwas anderes auf. Es war ein Beutel aus einen Tierfell, von ihm hing ein Rohr, das nach unten weiter wurde, auch mit Löchern nach unten. Drei Rohre ragten aus dem Beutel nach oben. Ein dünnes und zwei dickere. Die dickeren legte sich der Mann über die Schulter, das dünne steckte er sich in den Mund, und den Fellbeutel klemmte er sich unter den Arm. Dann blies er mit dicken Backen in den Stock, und der Beutel füllte sich offenbar mit Luft. Er ergriff das nach unten hängende Rohr mit beiden Händen, so wie er vorher den Pfeifstock gehalten hatte, und als er mit seinem Arm den Beutel zusammenpresste, erhob sich ein wildes Pfeifen und Fauchen. Es dröhnte und pfiff zugleich. Da waren zwei tiefe gleichbleibende Töne und viele kleine kurze, die mit der Bewegung seiner Finger im Einklang waren. Die Frau begann wieder dazu zu hüpfen und sich zu drehen. Der andere Mann hatte nun ein Rohr, das sich am unteren Ende nach oben bog. Er erzeugte damit Töne, die gut zu dem anderen passten. Ursula kam aus dem Staunen nicht heraus. Sie vergaß alle Menschen um sich herum und hörte nur noch die Musik. Wahrscheinlich hätte sie den ganzen Tag da gestanden, wenn sie nicht plötzlich jemand sehr heftig am Arm gezogen hätte. Es war Hilde. „Hier treibst du dich rum!“, schimpfte sie. „Ich suche dich schon eine ganze Weile. Schleicht sich einfach davon, um hier bei den Gauklern und ihrer Musik zu gaffen. Komm und verabschiede dich von deinen Freunden. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“ Daraufhin zog sie Ursula hinter sich her, ohne ihre Hand wieder loszulassen. Die Umstehenden grinsten, und Ursula fühlte sich ertappt. Am Wagen ihrer Freunde angekommen berichtete Ruth, wie gut ihr Geschäft an diesem Tag lief und dass sie, wenn das so weiterginge, höchstens noch zwei Tage bleiben würden. „Lothar möchte bald weiter. Ich glaube, er möchte auf keinen Fall die Zusammenkunft in Clermont verpassen.“ Ruth verdrehte die Augen. „Dieser Mann hält einfach alle auf Trab.“ Ursula verabschiedete sich wehmütig, da sie nicht wusste, ob sie in den nächsten Tagen noch mal die Möglichkeit haben würde, zum Markt zu kommen. Hilde
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