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Die Kreuzzüge

Die Kreuzzüge

Titel: Die Kreuzzüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Asbridge , Susanne Held
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monastische Leben oder einen anderen religiösen Stand entscheiden, wie es früher üblich war; sie können vielmehr ein gewisses Ausmaß an göttlicher Gnade erwerben, während sie in ihrem Beruf tätig sind, mit der Freiheit und in der Aufmachung, an die sie gewöhnt sind.
    Der Papst hatte die Idee einer bewaffneten Pilgerfahrt zumindest teilweise mit dem Ziel entworfen, das spirituelle Dilemma zu verkleinern, in dem sich die adlige Ritterschaft befand; außerdem war er sich im Klaren darüber, dass, wenn sich die Adligen seiner Sache anschlössen, auch eine Gefolgschaft von Rittern und Fußsoldaten mitziehen würde, denn die Teilnahme am Kreuzzug setzte zwar eine freiwillige Verpflichtung voraus, aber das komplexe Netz von Verwandtschaftsbeziehungen und Lehnsverpflichtungen verband ganze soziale Gruppen in einer gemeinsamen Sache. Der Papst setzte faktisch eine Kettenreaktion in Gang, weil jeder Adlige, der das Kreuz nahm, im Mittelpunkt einer sich ausbreitenden Welle von weiteren Rekrutierungen stand.
    Könige schlossen sich diesem Feldzug zwar nicht an – die meisten waren zu sehr in ihre eigenen politischen Machenschaften verstrickt –, dafür war die Elite des abendländischen Adels beteiligt. Die Mitglieder des Hochadels von Frankreich, den deutschen Ländern, den Niederlanden und Italien, die im Rang direkt unter dem eines Königs standen, trugen häufig den Titel Graf oder Herzog und konnten es durchaus mit der [56] Macht von Königen aufnehmen oder sie sogar in den Schatten stellen. Jedenfalls besaßen sie ein Höchstmaß an unabhängiger Autorität und sind daher als Gruppe am besten mit dem Terminus »Fürsten« zu bezeichnen. Jeder Fürst befehligte und verfügte über seine eigenen Truppen, zog aber auch – auf der Grundlage von Herrschafts- und Familienbeziehungen, verlängert durch gemeinsame ethnische oder sprachliche Wurzeln – weniger eng verbundene, weiter entfernt lebende Gefolgsleute an.
    Graf Raimund von Toulouse, der mächtigste weltliche Herr im Süden Frankreichs, war der erste Fürst, der sich dem Kreuzzug verschrieb. Er war ein erklärter Anhänger der päpstlichen Reformbemühungen und ein Verbündeter Adhémars von Le Puy, und er war mit ziemlicher Sicherheit von Urban II. bereits vor der Predigt von Clermont zur Teilnahme aufgefordert worden. Raimund, bereits über 50, war der »Seniorchef« der ganzen Unternehmung: stolz und unerbittlich, strotzend vor Reichtum und einem ausgedehnten Macht- und Einflussbereich. Er übernahm den Oberbefehl über die provençalisch-südfranzösischen Truppen. Spätere Legenden behaupteten, er habe bereits gegen die Mauren auf der Iberischen Halbinsel gekämpft, ja sogar eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternommen, bei der ihm ein Auge herausgerissen worden sei: Strafe für seine Weigerung, eine völlig überzogene Steuer zu bezahlen, die Muslime von lateinischen Pilgern verlangten. Man erzählte sich sogar, der Graf sei in den Westen zurückgekehrt und habe seinen Augapfel in der Tasche als Talisman mit sich getragen, der ihn immer an seinen Hass auf den Islam erinnern sollte. So abstrus diese Geschichten auch sein mögen – Raimund hatte ohne Zweifel die Erfahrung und, was wichtiger war, die Mittel, um das weltliche Oberkommando über den Kreuzzug für sich zu reklamieren. 9
    Der schärfste Rivale um diese Position war der 40-jährige Normanne Bohemund von Tarent. Als Sohn von Robert »Guiskard« (Robert »dem Gerissenen«), einem der normannischen Abenteurer, die im 11. Jahrhundert Süditalien erobert hatten, hatte Bohemund eine unschätzbare militärische Ausbildung genossen. Nach 1080 kämpfte er an der Seite seines Vaters über vier Jahre lang auf dem Balkan gegen die Griechen, wo er die Realität von Belagerungskämpfen und die Aufgaben eines Befehlshabers auf dem Schlachtfeld kennengelernt hatte. Kein anderer Teilnehmer am Kreuzzug hatte ähnlich viel Kriegserfahrung; in einer fast noch [57] zeitgenössischen Quelle wird er als »unvergleichlich kühn und erfahren in der Kunst der Kriegsführung« beschrieben. Sogar seine byzantinischen Feinde mussten zugeben, dass er eine stupende physische Ausstrahlung hatte:
    Bohemunds Erscheinung war, um es kurz zu sagen, mit der von keinem der anderen Männer vergleichbar, die es damals in der römischen Welt gab, seien es Griechen oder Barbaren. Sein Anblick erregte Bewunderung, die Erwähnung seines Namens Schrecken. [. . .] Er war so groß, dass er noch den größten Mann um fast eine Elle

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