Die Krieger 3 - Die Stimme der Ahnen
Schweigen schmerzt. So, nun wisst Ihr es«, sagte sie in ruhigerem Ton. »Beim geringsten Anlass zieht Ihr Euch zurück! Ich habe den Eindruck, dass Ihr mir Eure Freundschaft verweigert.«
Amanon schwieg überrascht, konnte sich jedoch nicht über dieses Eingeständnis ihrer Zuneigung freuen. Es änderte nichts an ihrer Situation.
»Das tut mir leid. Meine Gunst ist Euch sicher, glaubt mir. Und was meine Stimmung angeht … Ich brauche einfach nur etwas Zeit. Zeit, Eure Entscheidung zu akzeptieren.«
»Welche Entscheidung?«, fauchte Eryne. »Wovon redet Ihr eigentlich die ganze Zeit? Sprecht es endlich aus!«
Amanon betrachtete ihr ebenmäßiges Gesicht, das vom Regen feucht glänzende Haar, ihre vor Empörung bebende Brust … Er sehnte sich danach, sie an sich zu ziehen, sie zu küssen, als wären sie zwei Liebende, die nach langer Zeit endlich wieder vereint sind. Doch das war undenkbar.
»Nur weil man seinem Leiden einen Namen gibt, ist es noch lange nicht geheilt«, sagte er traurig. »Es auszusprechen, verstärkt den Schmerz eher noch, und damit ist niemandem gedient.«
Eryne funkelte ihn noch einen Augenblick lang an, senkte schließlich den Blick und trat einen Schritt zurück.
»Dann habe ich mich wohl getäuscht«, sagte sie bitter. »Ich wünsche Euch eine gute Nacht.«
Sie kehrte ihm den Rücken und eilte hinaus in den Regen, der noch stärker geworden war. Amanon blieb eine Weile am offenen Tor stehen, bis er seine Fassung wiedergewonnen hatte. Dann zog er es langsam zu.
Erynes letzte Bemerkung hallte in ihm nach wie ein endloses Echo.
Getäuscht?
Worin wollte sie sich getäuscht haben? Was hatte sie sich denn von diesem Besuch bei ihm erhofft?
Schon begannen die Dämonen der Reue ihn zu quälen. Vielleicht hätte er diesmal gut daran getan, auf sein Herz zu hören statt auf die Vernunft.
Eryne bemerkte kaum, dass ihr die nassen Kleider am Leib klebten, Schlamm auf ihre Stiefel und den Rocksaum spritzte und der Regen aus ihren Haaren troff. Sie hatte das Gefühl, unbedingt noch etwas frische Luft schnappen zu müssen, bevor sie durch die Schankstube, die sie an die Kaschemme in Lorelia erinnerte, zurück in ihr schäbiges Zimmer ging. Vielleicht würde der Regen ja auch ihren Kummer und die Kränkung fortspülen, die sie soeben erlitten hatte!
Hin- und hergerissen zwischen Wut und Traurigkeit dachte sie an die Begegnung mit Amanon zurück. Sie bereute bitterlich, zu ihm gegangen zu sein. Wie dumm von ihr, allen Ernstes gehofft zu haben, dass eine kurze Unterhaltung unter vier Augen reichen würde, um wieder Harmonie einkehren zu lassen. Das Gespräch war ganz anders verlaufen als erwartet. Offenbar hegte Amanon doch keine tieferen Gefühle für sie! Wie hatte sie nur so dumm sein können? So sehr hatte sie sich noch nie vor einem Mann erniedrigt.
Bei diesem Gedanken wurde ihr noch etwas anderes klar. Diese Erkenntnis hätte sie nie und nimmer so schmerzlich getroffen, wenn sie lediglich Freundschaft für Amanon empfunden hätte. Zu ihm fühlte sie sich mindestens ebenso stark hingezogen wie zu Kebree, auch wenn die beiden nicht unterschiedlicher hätten sein können. Warum musste alles nur so kompliziert sein?
Eryne erkannte sich selbst nicht wieder. Sie bereute mittlerweile, sich Kebree hingegeben zu haben – vor allem, weil Amanon deshalb von ihr abrückte. Sie verachtete sich für das selbstsüchtige Doppelspiel, das sie mit den beiden trieb, und verwünschte sogar ihre eigene Empfindsamkeit. Ihre beiden ungleichen Verehrer hatten schon so viele Opfer und Kämpfe auf sich genommen, dass sie den Gedanken, einem von ihnen wehzutun, einfach nicht ertrug. Ebenso wenig konnte sie sich für einen von beiden entscheiden, und das, obwohl sie bereits das Bett mit Keb geteilt hatte.
Doch jetzt hatte Amanon ihr die Entscheidung wohl abgenommen. Ob sie sich nun in seinen Absichten geirrt hatte oder er zu dem Entschluss gekommen war, sie aufzugeben, das Ergebnis war das Gleiche: Sie hatte ihn verloren. Das war eine völlig neue Erfahrung für sie, denn sie hatte noch nie um das Herz eines Mannes kämpfen müssen, und der Schmerz darüber ging tief. Sie schwankte zwischen Groll und Verzweiflung, Scham und Erstaunen, bis sie kaum noch wusste, was sie selbst eigentlich wollte und wie sie mit alldem umgehen sollte.
Als sie vor Kälte zu frösteln begann, gab sie sich einen Ruck, drehte sich um und stellte fest, dass sie sich ein gutes Stück von der Herberge entfernt hatte. Der erste Schreck schlug
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